Forschungsprojekt
Wasserstoff im Schweizer Erdgasnetz
In der Schweiz darf der Wasserstoffanteil im Erdgasnetz maximal 2% sein. In der zukünftigen Erdgasversorgung werden im Zuge der Dekarbonisierung des Erdgasnetzes sowie Einhaltung der nationalen Klimaziele weitreichende Veränderungen erwartet. Wasserstoff kann zur Senkung des CO2-Ausstosses beitragen, da Wasserstoff einen grossen gewichtsbezogenen Energieinhalt mit sich bringt und bei seiner Verbrennung kein CO2 bildet. Der Schweizerische Verein des Gas- und Wasserfaches (SVGW) stellt sich den künftigen Entwicklungen. Über ihren Forschungs-, Entwicklungs- und Förderungsfonds der Schweizer Gaswirtschaft (FOGA) hat der SVGW zusammen mit dem IET, dem Ingenieurbüro SWR+, dem Forschungszentrum CREM und der Gasversorgung Dietikon dieses Vorprojekt lanciert.
Die aktuell drei Szenarien mit den vielversprechendsten Aussichten sind:
- Beimischung von grünem, synthetisch produziertem Methan in das bestehende Erdgasnetz
- Beimischung und schrittweise Erhöhung von grün, blau oder türkis produziertem Wasserstoff in das bestehende Erdgasnetz. Dabei ist die H2-Beimischung zwischen 10% (nahe Zukunft) bis 100% (ferne Zukunft) denkbar.
- Erstellung einer zur Erdgasversorgung parallelen Wasserstoff-Infrastruktur (neues 100% H2-Netz)
Die Ziele des Projekts sind:
- Für ein bereits auserwähltes Teilversorgungsgebiet in der Stadt Dietikon (Quartiere Altberg und Heimstrasse, Abbildung 48) soll die vorhandene Netzinfrastruktur auf ihre Wasserstofftauglichkeit mit Anteilen bis zu 10% überprüft sowie die Beimischung und Verteilung des Wasserstoffes via das Erdgasnetz im entsprechenden Teilabschnitt mittels einer Netzsimulation untersucht werden.
- Bestimmen von Quelle und Menge von Wasserstoff, das für einen allfälligen Testlauf benötigt würde. Weiter sind Aufstellungs- und Sicherheitsplanung für die Einspeisestelle, ein Mess- und Regelkonzept sowie Erstgespräche mit tangierten Instanzen (Grundstückeigentümer, Eichämter, Stadt Dietikon, etc.) zu führen.
- Untersuchung der Auswirkungen von erhöhtem Wasserstoffanteil für Abnehmer:innen, für deren Anwendung die Gaszusammensetzung kritisch ist. Dies ist in vereinzelten Branchen aus Industrie sowie bei Erdgastankstellen der Fall.
- Beginn der Erstellung eines SVGW-Leitfadens als unterstützendes Instrument für die Netzbetreiber:innen, welche ihr Gasverteilnetzen auf die Wasserstoffverträglichkeit hin überprüfen und gegebenenfalls umrüsten wollen.
Die Aufgaben des IETs richtet sich auf die Leitung des Projektes, der Literaturstudie, der Berechnung der Mengen und Gasqualitäten mit H2-Anteilen sowie die Auswirkungen auf die schweizerische Industrielandschaft und die CNG-Tankstellen und Fahrzeuge.
Literaturstudie und Konditionierung
Die Thematik der Wasserstoffbeimischung und der Netzumstellung auf 100% Wasserstoff erfährt seit rund einem Jahrzehnt steigendes Interesse. Entsprechend ist die Anzahl verfügbarer Literatur stark steigend. Dieses Wissen galt es zu sichten und in einer wieder auffindbareren Systematik zu speichern. Dank der bereits am IET verfügbaren Bibliotheken-Verwaltungssoftware 'Citavi' stand bereits ein geeignetes Tool zur Verfügung. In der aktuell laufenden Cloud-Erweiterung der Entwickler von 'Citavi' konnte die Bibliothek als ein Online-Cloud-Projekt erstellt und zusammen mit dem Projektpartner des SVGW bearbeitet werden. Zum Zeitpunkt Mitte Sommer 2020 finden sich rund 200 Quellen in der Bibliothek, welche sich auf die projektbezogenen Thematiken beziehen. Die Strukturierung der Quellen wurde hinsichtlich des zu erstellenden Leitfadens gewählt und bildet seine Grundlage.
Berechnung der zu erwartenden Gasqualität
Die physikalischen und verbrennungstechnischen Eigenschaften von Wasserstoff unterscheiden sich oftmals stark gegenüber denjenigen von Methan respektive von Erdgasgemischen. Insbesondere veränderlicher Brennwert, Dichte, kinematische Viskosität, Wärmekapazität und Schallgeschwindigkeit sind bei den Aspekten des Transportes und Energielieferung wichtig. Bei der energetischen Nutzung des Brennstoffes sind vor allem die stark erhöhte Flammengeschwindigkeit und veränderlichen Flammentemperaturen hervorzuheben. Diese Eigenschaften können ungewünschte Auswirkungen auf die Langlebigkeit eines Brenners oder bei sensiblen Prozessen direkt auf die Produktequalität haben. Wissen über die zu erwartenden Veränderungen auf das örtliche Gasgemisch ist daher essentiell. Zu den generellen Stoffdaten von Wasserstoff und Methan wurden Literaturwerte konsultiert, beim lokalen Gasgemisch wurde auf die Software GasCalc und/oder auf die Datenbank von RefProp zugegriffen und die Werte berechnet.
Für die Beurteilung der Gasqualität bezieht sich die Gasbranche auf den Wobbe-Index eines Gases. Der Wobbe-Index stellt der Brennwert eines Gases ins Verhältnis zur Wurzel vom Quotient seiner Dichte zur Dichte von trockener Luft. Die Aussage dabei ist, dass bei gleichbleibendem Wobbe-Index gleich viel Energie in ein und denselben Brenner strömen würde, obwohl sich andere Moleküle, und folglich auch andere Heizwerte, im Gas befinden. Weiter stellen die nationalen Gasverbände Minimalanforderungen an Brennwert sowie der relativen Dichte des Gases zur trockener Luft. Alle drei Grenzwerte lassen sich im Brennwert vs. Wobbe-Index-Diagramm darstellen. Bei einer Beimischung von bis zu 10% Wasserstoff können die geltenden Grenzwerte gerade noch eingehalten werden.
Gasmenge in Dietikon
Über die von der Gasversorgung Dietikon ausgelieferte Energiemenge in dem vorgesehenen Versorgungsgebiet Altberg/Heimstrasse der letzten drei Jahren sowie einem Standard-Nutzlastprofil kann die voraussichtlich benötigte Menge Wasserstoff ermittelt werden, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt der Feldtest durchgeführt wird. Bei einem Testlauf bei Spitzenlast, also in den Wintermonaten, wird der Bedarf gemäss dem Standardlastprofil um rund +170% höher ausfallen als in einem durchschnittlichen Monat. Es gibt auch Tage an denen der Gasbezug gegen Null geht. Tabelle 6 zeigt die durchschnittlich benötigten Mengen an Wasserstoff in Gasflaschen oder in Form eines wasserstoffproduzierenden Elektrolyseurs.
Auswirkungen auf Schweizer Industrie
Aus der Jahresstatistik des Verbandes der schweizerischen Gasindustrie VSG59 ist zu entnehmen, dass 35% in des Erdgases in die Industrie geht. Aus der jährlichen Analyse des Energieverbrauchs in der Schweiz geht hervor, dass über 71% der Brennstoffe in der Schweizer Industrie für Prozesswärme genutzt wird. Insgesamt also flossen im Jahr 2018 rund 25% aller Erdgasmoleküle in die Industrie, vornehmlich um Prozesswärme zu erzeugen.
Aufgrund der Qualitätsansprüche ist der Industriesektor besonders von den veränderten verbrennungstechnischen Eigenschaften von Wasserstoff-Erdgas-Gemischen betroffen. Dort werden mit dem Brenngas präzise Prozesse gefahren, bei welchen unter Umständen Änderungen von wenigen Grad Celsius Qualitätseinbussen in deren Produkte haben könnte. Vor allem zu nennende Bereiche sind z.B. die Keramik und Glasherstellungsprozesse, aber auch die Pharma-, Chemie- und Nahrungsmittelherstellung unterliegt hohen Qualitätsanforderungen. Genau diese zuletzt genannten Industriesektoren weisen die höchsten Erdgasbezüge auf. Den Auswirkungen auf die hiesige Industrie gilt daher in diesem Projekt ein besonderes Augenmerk.
Wasserstoff benötigt pro gleicher Menge an Energieinhalt bei der Verbrennung weniger Sauerstoff-Moleküle als kohlenstoffbasierte Brennstoffe. Deswegen kann bei nichtangepasster Luftzufuhr eine überstöchiometrische Verbrennung stattfinden. Je nach Prozess möchte man dies jedoch nicht, respektive kann es sogar negative Auswirkungen auf Brenner und Brennraum haben. Daher scheint nicht nur eine Anpassung der Brennstoffzufuhr (mehr Volumenstrom für gleiche Energiemenge) nötig, sondern auch eine Anpassung der Luftzufuhr. Welche Massnahmen die Industriebetriebe genau zu treffen haben, ist in jedem individuellen Fall einzeln zu betrachten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann jedoch gesagt werden, dass an den Industriebrenner bei einer Umstellung der Gasversorgung auf Wasserstoff mindestens Untersuchungen getätigt werden müssen, im Extremfall Anpassungsregelungen und somit finanzieller Aufwand entsteht.
Auswirkungen auf CNG-Tankstellen und Fahrzeuge
CNG-Tankstellen sind grundlegend aus einem mehrstufigen Kompressor und Speicherbänken aufgebaut, in welche das zu betankende Gas in unterschiedlichen Druckstufen bereitgestellt wird. Ein H2-Anteil von bis 10% sind technisch kein Problem. Trotzdem muss in den jeweiligen Anwendungsfällen geklärt werden, ob die verwendeten Materialien (Dichtungen, Kolben, Ventilsitze etc) in den jeweiligen Tankstellen wasserstoffverträglich sind.
Ein etwas anderes Bild ergibt sich bei den bestehenden rund 1.4 Millionen CNG-Fahrzeugen in Europa, in welchen das H2/CNG-Gemisch verbrennt werden soll. Zwar sind nicht die Motoren oder die Gasleitungen die eingrenzenden Faktoren, sondern die Fahrzeugtanks und die Mischungstechnik. 2013 waren 95% der Fahrzeuge mit Typ 1 Stahltanks ausgerüstet. Diese sind aufgrund von befürchteter Wasserstoff Versprödung nicht für höhere Anteile als 2 Vol-% zugelassen (ECE-Richtlinie R110). Die Mischung des Treibstoffes mit dem Luftsauerstoff kann bei Saugrohrsystemen problematisch werden. Aufgrund von veränderter Dichte kann der Brennstoff und die Luft in verändertem Mischungsverhältnis in den Motor gelangen und zu fehlerhaftem Betrieb führen. Zudem halten CNG-Motoren ihre Emissionsgrenzen mit bis zu 2% Wasserstoffanteil ein und wurden entsprechend zertifiziert. Eine Erhöhung des H2-Anteiles in Erdgastankstellen ist also erst nach Anpassung der CNG-Fahrzeuge, ihrer Zertifizierung und des länderübergreifenden Regelwerkes realistisch.
Folglich muss bei zeitnaher Einspeisung von Wasserstoff ins Erdgasnetz dieser Anteil vor oder an den Erdgastankstellen wieder entfernt werden. Nachforschungen zeigen, dass hierfür eine ganze Palette an Technologien zur Verfügung stehen oder stehen werden, welche einzeln oder in Kombination denkbar sein könnten:
- Druckwechseladsorption
- Kryogene Destillation
- Methanisierung des Wasserstoffanteiles
- Temperatur-Adsorption (Palladiummembran, Metallhydride)
- Membran-Trennung (Polymer- und keramische Membranen)
- "Elektrochemische Pumpe" mittels einer PEM-Membrane
Im weiteren Verlauf des Projektes gilt es, die gesichteten Technologien auf ihre Einsatztauglichkeit im Rahmen einer Erdgastankstelle zu durchleuchten. Deutlich wird jedoch, dass in jedem Fall Investitionen zum Schutz der Erdgasfahrzeuge getätigt werden müssen.
Laufzeit: 01.01.2020 - 31.12.2020
Projektfinanzierung:
Forschungs-, Entwicklungs- und Förderungsfonds der Schweizer Gaswirtschaft (FOGA)
Kooperation:
Schweizerischer Verein des Gas- und Wasserfaches SVGW, Gasnetz Dienstleister Dietikon SWR+, Centre de Recherches Energétiques et Municipales CREM (Martigny)
Projektteam:
Christoph Steiner
IET Institut für EnergietechnikWissenschaftlicher Mitarbeiter
+41 58 257 43 49christoph.steiner@ost.ch