16.09.2024
Es wird oft vermutet, dass die Buchhaltung genau sei. Diese Vermutung ist leider eher falsch als richtig oder gar irreführend. Die Buchhaltung kann heute gar nicht mehr genau verstanden werden, wenn die Spielregeln des Spiels nicht bekannt sind. Und genau dies ist die Problematik bei der Analyse einer Jahresrechnung.
Das Ziel einer Jahresrechnung nach dem Handelsrecht (OR) ist es, dass die Adressaten einer Jahresrechnung sich ein möglichst verlässliches Bild über die Ertrags-, Vermögen- und Finanzlage eines Unternehmens machen können. Doch die Analyse wird schwierig oder ist gar unmöglich, wenn die Regeln des Spiels (also die Grundlagen der Buchhaltung) nur bekannt sind, und nicht verstanden werden.
Wenn ein Unternehmen einen moderaten Gewinn aufzeigt, kann in Tat und Wahrheit ein grosser Gewinn oder ein hoher Verlust bestehen. Die Problematik liegt bei der Existenz von stillen Reserven. Das Obligationenrecht lässt diese als helvetische Accounting-Spezialität explizit zu, man kann auch sagen, sie sind erwünscht. Diese Spezialität stammt aus dem bekannten Vorsichtsprinzip, führt aber auch dazu, dass mögliche Krisen wohl erst spät oder zu spät erkannt werden, damit ein Verwaltungsrat oder die Geschäftsführung handeln können. Vielmehr ist ein Inventar über die stillen Reserven zu führen, damit die wahre Entwicklung der Profitabilität und Bonität beurteilt werden kann.
«Die Spielregeln des Accounting muss man kennen.»
Prof. Dr.oec. HSG Marco Gehrig, Kompetenzzentrum Accounting und Corprorate Finance
Die Bilanzanalyse spielt in der Kreditvergabe durch Banken, bei der Prüfung einer Jahresrechnung oder bei der Beurteilung durch die Eigentümer eine sehr zentrale Rolle. Allerdings: Eine Bilanzanalyse ist nur profund, wenn die Spielregeln der Rechnungslegung bekannt sind und verstanden werden. Über das Wissen hinaus braucht es vor allem Fachkompetenz, um einen Jahresabschluss richtig lesen und interpretieren zu können.
Wahrlich ist auch vor Augen zu führen, dass die Komplexität der Jahresrechnung heute viel grösser ist als allgemein bekannt. Das Beispiel der Rückstellungen ist ein repräsentatives Beispiel hierzu: Da bis zur Einführung des Rechnungslegungsrechts im Jahr 2012 für Rückstellungen kaum Regeln bekannt gewesen sind, sind Verbindlichkeiten bzw. Rückstellungen mit einer Legaldefinition begründet. Somit haben sich die Ermessensspielräume für den Ansatz und die Bilanzierung von Rückstellungen grundlegend verändert. Kurzum: Eine Investition in die Spielregeln der Buchhaltung stärkt jede/n FinanzleiterIn, VerwaltungsrätIn oder GeschäftsführerIn.