11.09.2024
Klar ist: Am 22. September 2024 stimmen wir über die BVG-Reform ab. Und die tut Not: Die wegen schwächelnden Kapitalmärkten und historisch tiefen Zinsen sinkende Renditeerwartung steht einer höheren Lebenserwartung gegenüber. Der Mindestumwandlungssatz ist zu hoch und muss zweifelsohne gesenkt werden. Ebenso drängt es sich auf, die Realitäten des Arbeitsmarktes besser zu berücksichtigen. So zielt die Reform denn auch darauf ab, das Leistungsniveau aus der beruflichen Vorsorge zu erhalten, insbesondere aber Personen mit tiefem Einkommen sowie Teilzeit- und Mehrfachbeschäftigte besser abzusichern.
Die wesentlichen Elemente der Reform
Die Reform setzt sich aus mehreren Puzzle-Teilen zusammen:
Für besonders Interessierte sei auf die Webseite des Bundesamts für Sozialversicherungen verwiesen (BSV).
Wer ist von der Reform betroffen?
Klar ist, dass sich die Reform nicht auf Versicherte auswirkt, welche pensioniert sind und bereits eine Altersrente beziehen. Nicht ganz so klar ist derweil, welche Versicherten von der BVG-Reform in welchem Umfang betroffen sind. Je nach individueller Situation lassen sich laut BSV folgende Szenarien unterteilen:
Allerdings – und das geht meist vergessen - wirkt sich die Reform wortgetreu lediglich auf jene Versicherte unmittelbar aus, welche ausschliesslich im oder sehr nahe am BVG-Obligatorium versichert sind. Das sind laut BSV höchstens ein Drittel der in der beruflichen Vorsorge versicherten Personen. Andere Experten gehen sogar davon aus, dass lediglich 15% der Versicherten direkt von der Reform betroffen sein werden. Zum gleichen Schluss kommt die aktuelle Studie des BSS: «Grundsätzlich muss bei der Diskussion um die Wirkung der BVG-Revision beachtet werden, dass nur ein kleiner Teil der Versicherten unmittelbar betroffen ist, da die Revision primär die Regelungen beim BVG-Minimum ändert. Heute sind aber rund 85% der Arbeitnehmenden in einer überobligatorischen Ausgestaltung der Pensionskasse, wodurch sie in der Regel nicht von der Reform betroffen sind.» Details zum Kleingedruckten (z.B. zur kollektiven Finanzierung des Rentenzuschlags für die Übergangsgeneration durch zusätzlichen [solidarischen] Lohnabzug) können hier nachgelesen werden.
«Am 22. September 2024 bleibt nicht nur das Abstimmungsergebnis spannend, sondern insbesondere auch die konkreten Auswirkungen der BVG-Reform auf die eigene individuelle Pensionskassenleistung.»
Prof. Pascal Bechtiger, Kompetenzzentrum Banking und Finance
Warum sind so wenige betroffen?
Doch wie ist das möglich, dass schätzungsweise nur ein Drittel bzw. 15% der Versicherten direkt betroffen sind? Der Hund liegt im Aufbau der beruflichen Vorsorge begraben: Diese setzt sich aus einer obligatorischen Mindestversicherung (BVG-Obligatorium oder BVG-Minimum) und einem freiwilligen, zusätzlichen überobligatorischen Teil zusammen. Das BVG-Obligatorium ist im Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) verankert. Arbeitgebende müssen Arbeitnehmende mindestens gemäss diesen definierten Rahmenbedingungen versichern. Die Pensionskassen können aber auch weitergehende, für die Versicherten vorteilhaftere Leistungen versichern – man spricht von der überobligatorischen beruflichen Vorsorge.
Die BVG-Reform bezieht sich namensgetreu lediglich auf das BVG-Obligatorium. Der Löwenanteil der PK-Versicherten hat jedoch einen relevanten Teil des Pensionskassenguthabens im besagten umfassenderen überobligatorischen Bereich versichert. Das heisst, die allermeisten Versicherten verfügen über einen deutlich höheren Versicherungsschutz als gesetzlich vorgeschrieben. Das verschafft den Vorsorgeeinrichtungen Handlungsspielraum: Technische Parameter können in den Pensionskassenreglementen (unter Einhaltung des BVG-Obligatorium sowie den Grundsätzen der beruflichen Vorsorge [BVV2]) frei definiert werden. Das erklärt beispielsweise, dass der Umwandlungssatz bei zahlreichen Pensionskassen bereits heute deutlich unter 6% liegt oder der Koordinationsabzug bereits jetzt schon reduziert oder gänzlich aufgehoben ist. Auf die Renten solcher überobligatorischen Pensionskassenlösungen hat die Reform deshalb in der Regel keine direkten Auswirkungen, weil die von der Reform vorgesehenen Mindestanforderungen bereits heute problemlos erfüllt werden.
Fazit: Schwierige Prognose der Auswirkungen
Bei rund 1500 Pensionskassen in der Schweiz ist es gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten. Wie sich die Reform konkret auf die einzelnen Versicherten auswirkt, lässt sich deshalb weder generalisieren noch pauschalisieren – und hängt nebst der skizzierten Ausgestaltung individueller überobligatorischer Leistungen insbesondere auch von zahlreichen persönlichen Faktoren ab: Jahrgang, Arbeitspensum, Einkommenshöhe oder weiterer Verlauf des Erwerbslebens.
Übrigens: Laut einer aktuellen Studie der Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG in Zusammenarbeit mit Sotomo geht die Schweiz mit ungenügenden Fachkenntnissen und verzerrten Vorstellungen in die Abstimmung zur BVG-Reform: Der Anteil und die Bedeutung des überobligatorischen Teils der beruflichen Vorsorge werden massiv unterschätzt. Auch hier sei auf die Studie verwiesen.
Literatur: