Viel Aufsehen erregte Bill Anderson, ehemals Roche Pharmachef, als CEO der krisengeschüttelten Bayer AG mit dem Ansatz Humanocracy. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass zwischen ihm und der Kundschaft bis zu 12 Ebenen lägen.
Was ist Humanocracy?
Es geht um die Idee, was das Unternehmen im Innersten zusammenhält. Der Ansatz basiert massgeblich auf Strategiepapst und Managementvordenker Gary Hamel, bekannt vor allem durch seine Publikationen und Ideen zu Kernkompetenzen. Er konstatiert, dass Bürokratie eine aussergewöhnlich hohe Effizienz bei der Abarbeitung und der Einhaltung von Vorschriften und Regeln mit sich bringt. So schaffen bürokratische Strukturen und Hierarchien eine hohe Präzision in der (maschinellen) Erledigung von Aufgaben. Durch Automatisierung und Digitalisierung schafft eben dies jedoch keinen Wettbewerbsvorteil mehr, folglich ist sie kein Teil (mehr) einer Kernkompetenz. Kern des postulierten Managementansatzes ist die Verlagerung der Macht in den Maschinenraum.
Der Kapitän bleibt, der 1. Offizier geht.
Damit geht einher, dass die verbleibenden Führungskräfte einen Kontrollverlust erleben, da eine Vielzahl an Planbarkeit, Überwachungsansätzen oder Kontrollmöglichkeiten abgeschafft wird. Hamel betont, dass Menschen Veränderungen lieben – nur nicht jene, welche ihnen aufoktroyiert werden. Dem Ansatz liegt ein Menschenbild zu Grunde, das sehr stark an McGregors Y-Theorie erinnert – Mitarbeitenden goutieren Freiraum und Eigenverantwortung mit Leistung und Kreativität. Währenddessen Kontrolle zum Rückzug und «Arbeiten nach Vorschrift» führt.
Was ist zu tun?
Bleiben wir beim Gedankenexperiment in Ermangelung des Fehlens eines strauchelnden DAX-Konzern. Schaffen wir alle Führungsebenen ab, welche sich damit beschäftigen zu kontrollieren und «die» Entscheidung zu treffen. Es verbleiben Führungspersonen, die Leadership betreiben, statt einfach nur über eine grössere Kontroll- und Informationsspanne zu verfügen. Wissen und Führungskompetenz, statt Vorsprung durch Kontrolle. Keine Leistungsvereinbarungen auf Basis von Inputs und Ressourcen – sprechen wir lieber von Projekten und Ideen. Orientieren wir uns an den menschlichen Potenzialen und Bedürfnissen vieler (Mitarbeitender) statt an den Bedürfnissen nach Kontrolle und Sicherheit oder der Angst vor Macht- und Bedeutungsverlust einiger Weniger.
Keine radikale neue Idee, aber aktueller denn je.
Literatur
Hamel, G.; Zanini, M. (2024): Humanocracy: Humanocracy Creating Organizations as Amazing as the People Inside Them. Ingram. ISBN 978-1-63369-602-0.
McGregor, D. (1970): Der Mensch im Unternehmen. Econ. ISBN 978-3430163859.
Prof. Dr. Stefan Nertinger
ISM Institut für Strategie und Marketing
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stefan.nertinger@ost.ch
«Stefan Nertinger ist Professor für Strategisches Management am Institut für Strategie und Marketing. Er verfügt über umfangreiche Kenntnisse sowohl im wissenschaftlichen Bereich als auch in der praktischen Anwendung unternehmerischer Prozesse. Besonders wichtig ist ihm die Kombination beider Bereiche in der Analyse und Strategieentwicklung.»