Wesentlichkeitsanalyse – einfach, doppelt, nachhaltig?

Die Wesentlichkeitsanalyse (Materiality Assessment) identifiziert die aus Nachhaltigkeitssicht (ökologisch, ökonomisch, sozial) für Unternehmen wichtigsten Aspekte und Managementgegenstände. Die doppelte Wesentlichkeit umfasst zum einen Auswirkungen des Unternehmens auf dessen Umwelt und Gesellschaft (inside-out: impact materiality), als auch die Auswirkungen der Umwelt und Gesellschaft auf das Unternehmen, dessen Stakeholder und den Unternehmenserfolg (outside-in: financial materiality). 

  
Was ist Wesentlichkeit?  

Die Wesentlichkeitsanalyse ist ein zentraler Bestandteil des Nachhaltigkeitsmanagements und insbesondere in nahezu allen Nachhaltigkeitsberichten und
Nachhaltigkeitsstandards zu finden. Über das Instrument wird deutlich, über welche Aspekte das Unternehmen berichtet (berichten sollte). Sie bildet insofern auch die Grundlage für die Auswahl geeigneter Indikatoren (z. B. GRI) und Massnahmen. Üblicherweise erfolgt die Darstellung als Matrix mit den beiden Materialitäten als Achsen. Nicht zufällig ähnelt die Darstellung einer Risikomatrix – eine Vielzahl an Inhalten ist kongruent, da wesentliche Risiken aus den Nachhaltigkeits- bzw. ESG-Dimensionen entspringen. Es finden sich auch alternative Darstellungsformen, z. B. durch Visualisierung anhand zweier Balken. Für Unternehmen, welche von gesetzlichen Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung oder vgl. betroffen sind (vgl. CSR-D der EU) ist die Wesentlichkeitsanalyse das entscheidende Kriterium für comply-or-explain, also warum oder warum nicht über bestimmte Aspekte Rechenschaft abgelegt wird.  

Prozess der Analyse und Praxisguide  

Das Instrument ist vergleichsweise neu und es gibt unterschiedliche Vorschläge für die Erstellung. Für die Erstellung und Umsetzung hat sich auf Basis meiner Erfahrungen untenstehende Vorgehensweise bewährt. Die Instrumente überschneiden sich bewusst in manchen Ergebnissen. Die Schritte 1-4 sind iterativ und weniger Wasserfallmethode. Gerade im Kontext des Prozesses der Nachhaltigkeitsberichterstellung (als auch Lagebericht) ergeben sich auch Synergien

  1. Analyse der Wertschöpfungskette und Mapping der Auswirkungen auf ESG-Dimensionen (Value Chain Analysis). Eine gute Hilfestellung zur Identifikation relevanter Themen und auch Indikatoren bietet der GRI Indikatorenindex.  
  2. Beurteilung des Impacts des unternehmerischen Handelns hinsichtlich SDGs («Sustainable Development Goals»). Hier kann das Tool der Vereinten Nationen weiterhelfen.  
  3. Stakeholdermapping und Identifikation der relevanten, wichtigen Ansprüche der zentralen Stakeholder.
  4. PESTEL Analyse – Analyse der Umwelt und des Umfeldes in den Dimensionen Politik- Ökonomie – Gesellschaft -Technologie – Umwelt  
  5. Zusammenstellung Klassifikation der relevanten Themen und Erweiterung um (nicht bereits erfasste) Risikothemen (auch «weak signals»), insbesondere auch physikalische Risiken als Folgen von Klimawandel, Biodiversität zum Beispiel am Standort, in den Märkten oder der Lieferkette, etc.   
  6. Übertrag in die Wesentlichkeitsmatrix als erster Entwurf.
  7. Überarbeitung und Sounding in Unternehmens- und Stakeholdergremien sowie Quervergleich mit vergleichbaren Unternehmen, um die Ergebnisse zu validieren.

Prof. Dr. Stefan Nertinger
ISM Institut für Strategie und Marketing
+41 58 257 14 51
stefan.nertinger@ost.ch

Zum Profil 

 

 

 

Stefan Nertinger ist Professor für Strategisches Management am Institut für Strategie und Marketing. Ich kenne sowohl den wissenschaftlichen Leuchtturm als auch den unternehmerischen Maschinenraum. Beides in der Analyse und der Strategieentwicklung zu kombinieren, ist mir besonders wichtig. 

 

 

 

 

Literatur

EFRAG (2024): EFRAG IG1 – Materiality Assessment. Implementation Guidance. Link