Es war ein Anlass mit viel Raum für persönliche Erfahrungen. Ein Abend, der in vielfältigen Facetten zeigte, wie herausfordernd ein Studium mit einer Behinderung oder chronischen Krankheit sein kann und welche Strategien die Betroffenen für sich entwickelt haben, um mit den Schwierigkeiten und Hindernissen im Hochschulkontext umzugehen. Und zugleich wurde den 80 Teilnehmenden deutlich, wie sich die Hochschulen verändern müssen, um mehr Inklusion zu ermöglichen.
In seiner Eröffnungsrede hob Daniel Seelhofer, Rektor der OST – Ostschweizer Fachhochschule, die gesellschaftliche Bedeutung des Themas hervor und verwies auf das Behindertengleichstellungsgesetz und die UNO-Behindertenrechtskonvention, «zwei wichtige Meilensteine, um die Chancengleichheit und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen voranzubringen.»
Ein Pionier des Rollstuhlsports erzählt
Heinz Frei, mehrfacher Weltrekordfahrer und Pionier des Rollstuhlsports, sprach über seinen Weg zum Spitzensport. Angetrieben habe ihn die Frage, «wie wir uns als Betroffene zu Beteiligten machen können.» Er erzählte, wie er gelernt habe, seine Behinderung anzunehmen und Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Wie er mit Schwierigkeiten umgegangen ist und zum Rollstuhlsport gefunden hat. «Von Inklusion war in den 1970er Jahren noch keine Rede.». Getragen habe ihn «der starke Wille nach Selbständigkeit» und eine «positive Einstellung gegenüber dem Leben».
Anschliessend diskutierten auf dem Podium aktuelle und ehemalige Studierende der OST – Ostschweizer Fachhochschule und der Universität St.Gallen ihre Erfahrungen. Mit dabei waren Dietmar Grichnik, Prorektor Innovation und Qualität HSG, und Heinz Frei. Gleich zu Beginn gab Moderator und OST-Dozent Stefan Ribler die Frage in die Runde: «Warum muss ein Campus ‘all-inclusive’ sein?»
«Es braucht Strukturen, die mich in meiner Entwicklung unterstützen, ohne dass ich mich selbst darum kümmern muss», ist die Studentin Pia Seimetz überzeugt. «Und wir brauchen geschützte Räume, damit Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten sich austauschen können». Deshalb habe sie die Safe Space Association an der HSG gegründet. «Besonders der Umgang mit nicht-sichtbaren Beeinträchtigungen ist herausfordernd. Wir bieten einen Erfahrungsort und möchten zur Entstigmatisierung beitragen. Denn Inklusion fängt bei den Denkstrukturen an. Wenn alle verstehen, dass Diversität ein Vorteil ist, wäre dies ein grosser Gewinn.»
Mehr Empowerment – dank Vernetzung
Auch Angela Oberholzer ist davon überzeugt, dass Vernetzung zum Empowerment beiträgt. Sie hat zu Beginn ihres Studiums der Sozialen Arbeit die ADHS-Austauschgruppe gegründet, um Erfahrungen zu teilen und gemeinsam Strategien fürs Studium zu entwickeln. «Ich gehe heute offen mit meiner Beeinträchtigung um, und in Gruppen mit neurodiversen Menschen gibt es viel Verständnis.» Was die Diagnostik angeht, so sei die Ausgangslage bei Frauen und Männer allerdings unterschiedlich: «Bei Jungs wird oft bereits in der Schule ADHS diagnostiziert, weil ihr Verhalten als störend wahrgenommen wird. Mädchen hingegen fallen meist unter den unaufmerksamen Typ und erhalten deshalb erst spät die Diagnose.»
«Oftmals fehlt das Bewusstsein für bestimmte Einschränkungen», erklärte die Sozialarbeiterin Christine Schöni. «Ich habe mich im Studium dafür eingesetzt, dass Anpassungen bei der Infrastruktur und Gebäudemarkierungen vorgenommen wurden und habe an einer Veranstaltung für Lehrende zur Gestaltung von barrierefreien Lehrmaterialien mitgewirkt. Aus meiner Sicht sollte es gewisse Standards für Hochschuldozierende geben, die auch Bestandteil der Ausbildung sein sollten.»
Die Wichtigkeit von Beratungsstellen und Angeboten betont Camilla Bischofberger, Kommunikationsverantwortliche bei Pro Infirmis: «Ich hatte eine grosse Unterstützung. Wir haben die ganze Infrastruktur auf Barrierefreiheit durchgecheckt. Auch der privilegierte Zugang zum Kursbuchungssystem hat mich entlastet.»
Situation an den beiden Hochschulen
Wie die Situation aus Sicht der Hochschulleitung aussieht, skizzierte Prorektor Dietmar Grichnik von der HSG: «Es studieren heute rund 8–10% mit einer Behinderung oder chronischen Krankheit, davon 80% mit einer nicht-sichtbaren Beeinträchtigung». Wichtig seien deshalb eine stärkere Sensibilisierung der Lehrenden und Forschenden, unterstützende Instrumente wie der Nachteilsausgleich, neue Lernformen und eine individuelle Betreuung.
Der gut besuchte Anlass machte eindrucksvoll deutlich, was persönliches Engagement bewirken kann und wie weit der Weg zur inklusiven Hochschule noch ist. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Anlaufstelle Barrierefreie Hochschule der OST und der Diversity & Inclusion – Chancengleichheit und Special Needs (unisg.ch) der Universität St.Gallen.