Forschungsprojekt
Warum Wohngebäude oft mehr Energie verheizen als geplant
Moderner Gebäudetechnik zum Trotz: Viele Immobilien brauchen in der Realität mehr Energie für die Heizung als geplant. Eine gemeinsame Studie von HSR, 3-Plan Haustechnik AG und econcept zeigt jetzt, warum. Vor allem im Herbst und im Frühling wird mehr Heizwärme benötigt als angenommen.
Auf die Investition in eine gute Gebäudehülle folgt oft die Ernüchterung. Das Gebäude verbraucht im Alltag mehr Energie, als die Berechnungen im Vorfeld versprochen haben. In Fachkreisen wird dieses Phänomen «Performance Gap» genannt. In einer gemeinsamen Studie haben die HSR, die 3-Plan Haustechnik AG und econcept breit untersucht, welchen Einfluss der Mensch als Be-wohner und weitere Faktoren darauf haben.
Warm muss es sein
Besonders auffällig in den Ergebnissen ist, dass die Berechnungs-Normen laut SIA 380/1 (Energienachweis) von vorbildlichen Menschen ausgehen, die energiesparend leben. Sprich: 20 Grad Celsius Raumtemperatur, Lüften genau so viel wie nötig und im Winter möglichst viel Sonneneinstrahlung durch die Fenster. In der Realität sieht das jedoch anders aus: Im Durchschnitt übersteigt der gemessene Heizwärmebedarf die normbasierten Annahmen um ganze 44 Prozent. Vier von insgesamt 65 in der Studie untersuchten Mehrfamilienhäusern benötigten sogar mehr als doppelt so viel Heizwärme wie berechnet. Als Hauptgrund für die starken Abweichungen identifizierten die Forschenden die Raumtemperatur. Sprich: Bewohnerinnen und Bewohner stellen eine höhere Soll-Temperatur ein, als die Norm annimmt. Mehr als 50 Pro-zent der untersuchten Wohnungen strebten 24 Grad an. Im Schnitt stellten die Bewohnenden 23 Grad Wunsch-Temperatur ein.
Zusätzlich konnten die Forschenden mittels Simulationen aufzeigen, dass in der Übergangszeit im Frühling und im Herbst die Fenster trotz vorhandener Komfortlüftung mit hoher Wahrscheinlichkeit zeitweise gekippt offen stehen. Dadurch ergibt sich in der Übergangszeit ein grosser Unterschied zur Norm. Dies zeigt, dass nicht etwa Baumängel der Grund für den Performance Gap sind. Die Norm als Berechnungsgrundlage geht schlicht von einem nicht realitätsnahen Verhalten der Bewohnerinnen und Bewohner aus.
Suche nach weiteren Erklärungen
Mit diesen Erkenntnissen können die Forschenden der HSR einen Mehrbedarf von rund 30 bis 60 Prozent erklären. Denn jedes Grad zusätzliche Raumtemperatur steigert den Heizwärmebedarf um 10 bis 12 Prozent. Die Investition in wärmeeffiziente Gebäude lohnt sich aber trotzdem: Ein Minergie-P-Haus ist, basierend auf den absolut gemessenen Zahlen, immer noch deutlich besser als ein Gebäude, das nur die minimalen gesetz-lichen Vorschriften einhält.
Die Untersuchung der Energienachweise der Gebäude hat aufgedeckt, dass in einigen Fällen seitens der Planenden tendenziös optimistische Annahmen getroffen worden sind. Dadurch schneidet ein Gebäude in der Realität automatisch schlechter ab als vorher berechnet. Dass das Nutzerverhalten einen entscheidenden Einfluss hat, ist ähnlich wie beim Autofahren: Der Benzin verbrauch eines Autos wird auch über Norm-Tests durchgeführt, die dem realen Fahrverhalten nur bedingt entsprechen. Dies führt dazu, dass sowohl Auto- wie auch Hausbesitzer enttäuscht sind, wenn in der Realität mehr verbraucht wird, als vom Hersteller angegeben. Dass bei den Berechnungen getrickst wurde und der Kunde ein Produkt erhält, welches nicht dem entspricht, was gemessen oder versprochen wurde, scheint jedoch bei Immobilien eher die Ausnahme zu sein.
Vertiefte Untersuchung geplant
Obwohl die Nutzer von Gebäuden ihren Teil zur Energieeffizienz beitragen können, weisen die Autoren der Studie darauf hin, dass nicht der Bewohner an sich ein Problem ist, sondern die Normen, die nicht das reale Verhalten widerspiegeln, oder die Haustechnik, die vom Kunden nicht verstanden wird. Deshalb wird das Institut für Solartechnik SPF der HSR zusammen mit der econcept AG diesem Thema genauer nachgehen und in einem weiteren, vom Bundesamt für Energie (BFE) geförderten, Projekt das Benutzerverhalten in Abhängigkeit des Aussenklimas genauer untersuchen. Nur wenn die Nutzer besser verstanden werden, können auch bessere Heizsysteme und bessere Gebäude gebaut werden.
Projektteam:
Dr. Michel Haller
SPF Institut für SolartechnikStv. Institutsleiter SPF, Dozent, Leiter SPF Research, Teamleiter SPF Energiesysteme
+41 58 257 48 36michel.haller@ost.ch