Western City Boulevard © Stadt Helsinki/Tietoa Finland Oy

Forschungsprojekt

Strategische Beratung Stadtentwicklung Stadt Helsinki

Seit 2020 berät das IRAP die Stadt Helsinki zu strategischer Mobilitäts- und Stadtentwicklung. Im Mittelpunkt der Planungs- und Beratungsaufgaben steht die Umgestaltung der radial in die Stadt führenden Autobahnen in künftige städtische Wohn- und Arbeitsplatzgebiete mit lebenswerten Hauptverkehrsstrassen. Auf Basis eines Grundlagenbeschlusses vom 2018 («Masterplan Helsinki 2016») hat sich unsere Arbeit für zwei dieser Korridore mit Fragen der Projektorganisation, der Anordnung von Nutzungen und Nachverdichtungen im Verhältnis zum ÖV-Netz, der Transformationsprozesse einer Autobahn in eine Stadtstrasse, mit Fragen der volkswirtschaftliche Nutzen einer entsprechenden Grossmassnahmen sowie mit Fragen der Einbindung entsprechender Stadtbahnprojekte in das Gesamt-ÖV-Netz befasst.

Unser Beratungsprojekt begann knapp vor Ausbruch der Pandemie und hat in mehreren Projektphasen und bisher rund 30 Workshops mit der Stadtverwaltung Helsinki und weiteren Akteuren angeregt und unterstützt, das grösste Stadtentwicklungs- und Stadterweiterungsprojekt nach der Umnutzung der Innenstadthäfen in Wohn- und Büroarbeitsplatzgebiete voranzubringen. Zu Beginn stand ein abstrakter Beschluss. Nach unseren Arbeiten bzw. unserer Unterstützung, Moderation und zahlreichen konzeptionellen Arbeitspaketen sind zwei Projekte, d.h. drei Transformationen von Autobahnabschnitten im Stadtgebiet in unterschiedlichen Stadien der Planung und haben formelle Beschlüsse des Gemeinderates erfahren.

Im Korridor «Läntinen Bulevardikaupunki» (Westliche Boulevard-Stadt) hatten wir zunächst die Aufgabe, Vorschläge für ein Gestaltungshandbuch und Querschnitte der künftigen umgebauten Stadteinfahrt zu erarbeiten. Bei der Erarbeitung zeigten sich jedoch zahlreiche Widersprüche zu bestehenden anderen Projekten sowie eine mangelnde Integration mit der Stadtentwicklung. Unser Vorschlag, alle städtischen Projekte im gesamten Korridor auf einer Tiefe von rund 600m rechts und links der künftigen Strassenbahnachse in ein grosses Projekt zu integrieren wurde akzeptiert und als Folgeaufgabe konnten wir mit rund 25 Personen eine komplette neue Projektorganisation interdisziplinär aufbauen helfen. Integriert wurden neben dem Strassenbahn-Projekt die Planung der neuen Stadtteile, die Planung von Freiräumen zur Naherholung, die Umplanung der anschliessenden Autobahnenden als Grossinfrastrukturen, Anpassung bei 380-Volt-Stromtrassen, die Einrichtungen der Energieversorgung im Stadtteil, die Weiterentwicklung eines Einkaufszentrums und die Schnittstellen zu weiteren Verkehrsinfrastrukturen.

Ein Visions-Prozess mit einem verabschiedeten Leitbild und konkreten Zielen, die Definition eines gemeinen Terminplanes sowie eines Risikomanagements passend zur Kostenplanung sowie die Installation einer Projektleitung übergreifend über alle Projekte wurde schliesslich umgesetzt und hat zu neuen Formaten der Zusammenarbeit zwischen rund 6 Dienststellen geführt. Für die enorme Geschwindigkeit der Umsetzung für einen Stadtteil von rund 20.000 Einwohnern war dies von grosser Bedeutung. In der Folge werden Ausschreibungen für Planungs -und Bauleistungen anders umgesetzt, Know-How geteilt und politische Beschlüsse verändert vorbereitet und diskutiert. Vor allem aber wird das Projekt «Strassenbahn» als Rückgrat der Erschliessung in einem neuen Stadtteil ganzheitlich diskutiert. Als letzten Baustein in diesem Korridor konnten wir anhand einer integrierten Konzeptplanung für Dichteverteilung der künftigen Siedlung, Vorschlägen für die künftige Fusswegstrukturen ausgerichtet auf ÖV-Haltestellen und Freiräume und einem Parkierungskonzept für den gesamten neuen Stadtteil (öffentlicher Raum und private Parkierung) Grundlagen legen, um die von der Stadt vorgegebenen Ziele zu erreichen.

 

Für den zweiten Korridor (Arbeitstitel «VIIMA») kamen wir in einer Phase dazu, als dieser in einen planerischen Stillstand geraten war. Die staatliche Autobahnbehörde hatte jegliche Anpassungen an der bestehenden bis zu 8-spurigen Autobahn abgelehnt und das Projekt der Stadt Helsinki war zwischenzeitig gestoppt. Gleichzeitig bestand aber die Notwendigkeit, einen künftigen Stadtteil auf der Fläche des ehemaligen Flughafens Malmi (ca. 25.000 Einwohner bis 2040) an das Schienennetz anzuschliessen, um die gesamtstädtischen definierten Ziele (Netto-Null bis 2030, Reduktion MIV, …) erreichen zu können. Als weiterer Treiber für das Strassenbahnprojekt kam die Entwicklung des Universitäts-Campus Viikki zu einem nationalen BioTech-Standort mit zahlreichen neuen Arbeitsplätzen hinzu.

Die ersten Schritte unserer Beratungstätigkeit waren wieder eine Bestandsaufnahme der Planungsgrundlagen, diverse Projektorganisationen zu Quartiersentwicklungen, Strassenplanungen und Naturschutz am Meerufer und schliesslich die Hypothese, man könne die Autobahn neu denken, ohne den Status der Autobahn zu ändern umso erneut ins Gespräch zwischen Staat und Stadt zu kommen. Der Ansatz: niedrigere Geschwindigkeiten (von 100km/h auf 60km/h im bebauten Bereich, 80km/h in nicht angebauten Bereichen), Abbau der gigantischen Lärmschutzwände, deutliche Verschmälerung der Fahrbahnen, teilweiser Abbau oder Umbau der Anschlussstellen, Errichtung zusätzlicher Querungen für Fussgänger und Radfahrer. Mit diesen Grundlagen gelang der Stadt schliesslich, den Staat wieder an den Tisch zu bekommen und inzwischen ist die Transformation der Autobahn als Kompromiss zwischen eigentlich gewolltem «Stadtboulevard» (wie beim ersten Projekt) und «Stillstand» beschlossen. Damit konnte seit Ende 2022 die Planung der Nachverdichtung und Ergänzung von Quartieren zusammen mit Varianten für die Strassenbahn wieder aufgenommen werden. Themen wie die Qualität der öffentlichen Räume nicht zuletzt zur Erhöhung des Fussverkehrs und der ÖV-Nutzung machen überhaupt erst wieder Sinn.

Als weitere grosse Aufgabe erhielten wir den Auftrag, die nach bisherigen finnischen Massstäben erfolglose (Faktoren 0,3-0,5) volkswirtschaftliche Bewertung für das ÖV-Projekt zu überprüfen und eine Methodik zu entwickeln, die in Helsinki und im englisch-sprachigen Raum Urban Impact Assessment (UIA) genannt wird. Eine internationale Recherche, die Erfahrungen aus 25 Jahren öffentlichen Infrastrukturplanungen und dazugehörigen Bewertungen haben geholfen, ein System zu entwickeln, welches aktuell von der Stadt Helsinki verwendet wird, um zahlreiche Effekte und Vorteile der öffentlichen Investition für eine politische Entscheidungsvorlage aufzubereiten. Dabei geht es um die betriebswirtschaftlichen Vergleiche von Varianten und die darüber hinaus gehenden Effekte im Sinne einer breiten volkswirtschaftlichen und lokalökonomischen Betrachtung. Das Stadtplanungsamt hat zur Umsetzung der Methode für künftigen Projekten sogar einen Ökonomen fest eingestellt, der auf unseren Grundlagen sowie anhand der Systematik des städtischen Haushaltes der Stadt Helsinki dauerhaft umsetzen wird. Für uns hat es den Blick auf viele Ansätze in zahlreichen Ländern mit sich gebracht und die Erkenntnis, dass Entscheidungsfindung von öffentlichen Investitionen neben der Methodik der Bewertung in (ggf. zu vielen Details) am Ende dann vor allem auch den politischen Willen zur Umsetzung und zur Entscheidung zwischen Varianten auf Basis einer guten fachlichen Vorbereitung braucht. Was im Falle Helsinki auch gegeben ist: das Projekt und alle Massnahmen im Siedlungskorridor sind in den Investitions-Haushalt gerade aufgenommen worden.

Projektteam
Prof. Gunnar Heipp (Leitung)
Veera Helle-Custer
Lukas Arni (2022)
Marion Villinger (2021)
 

Weiterführunde Links

Läntinen bulevardikaupunki
Tramlinie 
Stadtentwicklung

VIIMA
Tram
Stadtentwicklung:
Local master plan of Viikinranta–Lahdenväylä | City of Helsinki
https://www.hel.fi/en/urban-environment-and-traffic/urban-planning-and-construction/urban-development/malmi

 

 

Visualisierung Stadtboulevard, Stadt Helsinki

Laufzeit: 01.01.2020

Projektfinanzierung:

Stadt Helsinki, Stadtplanungsamt