Forschungsprojekt
HSR forscht am sich selbst überwachenden Paketzentrum
Rund 700 000 Pakete pro Tag werden in den Paketzentren der Schweizerischen Post verarbeitet. Jeder technische Defekt verursacht Kosten und kann dafür sorgen, dass Pakete zu spät ankommen. Deshalb forscht die HSR für die Schweizerische Post an einem Paketzentrum, das sich bei Schlüsselsystemen permanent selbst überwacht und Reparaturen anfordert, bevor es zu Ausfällen kommt.
Pakete sind wahre Weltenbummler. Von der Bestellung bis zur Zustellung legen die Kartonschachteln riesige Strecken zurück. Eine der letzten Stationen auf der langen Reise sind die insgesamt drei Paketzentren der Schweizerischen Post. Hier werden rund 700 000 Pakete pro Tag angeliefert und über verschlungene Förderband- Systeme weitgehend automatisiert nach Postleitzahlen und Adressdaten sortiert. Durch diese ausgeklügelte Sortierung können die Postboten schweizweit alle Pakete in ihrem Gebiet rechtzeitig ausliefern.
Unerwartete Ausfälle auf 0 reduzieren
Nur in der Nacht und an den Wochenenden stehen die Bänder in den Paketzentren still. In dieser Zeit werden Instandhaltungsarbeiten durchgeführt und defekte Teile ausgetauscht. Im Block- und Schichtbetrieb müssen Mitarbeitende dafür sorgen, dass am nächsten Morgen alles rund läuft. Doch das reicht nicht immer – in jedem Paketzentrum stehen die Kippschalensorter pro Jahr 20 bis 30 Mal wegen eines unerwarteten Ausfalls still. «In einem solchen Fall rücken unsere speziell geschulten Teams aus und beheben das Problem in durchschnittlich 15 Minuten», sagt Thomas Nufer, der für die mechanischen Installationen in den Paketzentren verantwortlich ist.
15 Minuten Stillstand: Das sind Tausende Pakete, die nicht planmässig sortiert werden können, während am Liefereingang ein Lkw nach dem anderen neue Pakete anliefert. So kann es passieren, dass bis zum Ende des Tages nicht alle Pakete wie geplant sortiert werden können und sich die Auslieferung verzögert. «Durch den boomenden Onlinehandel gibt es immer mehr Pakete und die permanente Verfügbarkeit der Paketzentren wird für uns noch wichtiger», sagt Nufer.
Die Post hat deshalb das Ziel, die ungeplanten Ausfälle möglichst zu reduzieren und den Aufwand für Inspektionen zu verringern. Dafür arbeitet sie zusammen mit dem ILT Institut für Laborautomation und Mechatronik der HSR sowie weiteren Partnern an einem besonderen Überwachungssystem für die Paketzentren. Es soll Verschleiss erkennen und rechtzeitig melden, damit ausfallgefährdete Teile während der geplanten Wartungen ausgetauscht werden können. Das Konzept nennt sich Predictive Maintenance und ist eines der grossen Ziele, die Logistik- und Produktionsunternehmen mit der Digitalisierung ihrer Fabriken und Anlagen verfolgen.
Mit Sensoren und Algorithmen die Zukunft voraussehen
Die Forschenden der HSR konzentrieren sich auf den wichtigsten Teil in den Paketzentren: die Kippschalen- Sorter. Das sind Systeme mit Sortierwagen, auf denen Pakete transportiert werden. Erreicht ein Paket auf dem Wagen die Zielrutsche für das richtige Postleitzahl-Gebiet, kippt der Wagen das Paket hinunter. Bis zu 1080 in einem Endloskreislauf fahrende Sortierwagen ermöglichen die effiziente Sortierung der Pakete. Wenn ein Wagen ausfällt, blockiert er den gesamten Kippschalensorter und ein Teil der Sortieranlage steht still. Der Zustand jedes einzelnen Wagens soll permanent automatisch erkannt werden. Zeigt ein Wagen kritische Verschleisserscheinungen an, soll eine Software den Wagen für die Reparatur während der nächsten geplanten Wartung anmelden oder in kritischen Fällen einen sofortigen Austausch durch das Personal veranlassen.
Um den Zustand der Wagen zu prüfen, experimentiert das ILT Team um Prof. Dr. Christian Bermes mit verschiedenen Sensoren. Sie messen entweder die Temperatur von beweglichen Teilen oder Vibrationen, nehmen Geräusche auf oder prüfen per Laser die Oberflächen. «Erfahrene Ingenieure oder Instandhaltungsfachleute erkennen verschlissene Teile sofort. Für ein automatisches System müssen wir erst herausfinden, welche Sensoren die besten Informationen über den Zustand eines Wagens liefern», erklärt Bermes. Deshalb forsche man derzeit daran, «wie und wo genau wir den Patienten den Puls fühlen müssen, um zuverlässige Aussagen über ihre Gesundheit treffen zu können.» Um den optimalen Diagnoseaufbau herauszufinden, arbeiten die HSR Forschenden mit der Küffer-Elektro-Technik AG, der Automation + Controlsystem ACS AG sowie der Neratec Solutions AG zusammen.
Technologietransfer in die Praxis
Damit aus aktuellen Sensordaten Wartungspläne für die Zukunft werden, müssen die Daten auf die Cloud-Server des Projektpartners leanBI hochgeladen werden. Dort untersuchen komplexe Algorithmen die Sensordaten und treffen Vorhersagen, wie lange welche Kippschalen-Sorter voraussichtlich noch fehlerfrei funktionieren. Wird das Ziel des sich selbst überwachenden Paketzentrums Realität, will leanBI-CEO Dr. Marc Tesch das Konzept generalisieren: «Mit den Erfahrungen aus diesem Projekt möchten wir ein Algorithmenset entwickeln, das sich für viele intralogistische Anlagen einsetzen lässt – etwa im Maschinenbau, der Lebensmittel- und Pharmaindustrie oder bei anderen Logistikunternehmen.» Die Generalisierbarkeit interessiert auch Dr. Christian Heumann von der FHS St. Gallen, die sich im Projekt als federführender Forschungspartner unter anderem mit einer Analyse der Marktanforderungen befasst. Dazu interviewt und besucht das Team derzeit Schweizer Unternehmen mit intralogistischen Anlagen, um herauszufinden, inwieweit sich Verfahren und Erkenntnisse aus dem Projekt auf ähnliche Anwendungsfälle übertragen lassen.
Das von der Kommission für Technologie und Innovation des Bundes mitfinanzierte Forschungsprojekt läuft noch bis Anfang 2019. Laut HSR Professor Christian Bermes sehen die Zwischenergebnisse gut aus: «Wir kennen die kritischen Zustände und Komponenten in den Paketzentren, die Sensor Messinstallationen sind getestet und sie funktionieren.»