«Wir haben kein Recht, vor der durch uns ausgelösten Klimakrise zu kapitulieren»
Medienmitteilung vom 9. Juni 2023
2023 bisher: Waldbrände in Kanada, Hagelstürme auf Sizilien und Überflutungen auf Mallorca, Hitzewellen in China, schmelzende Gletscher und eine überdurchschnittlich schnelle Erwärmung in der Schweiz. In diesem Kontext fand gestern der erste Hochschultag der OST zum Thema «Klima und Energie» statt. Neben prominenten Gästen gab es dabei vor allem eines: Angeregte Diskussionen über Wege aus der Klimakrise.
Was kann eine Fachhochschule gegen den Klimawandel und für die Bewältigung seiner Auswirkungen tun? Diese Frage stand gestern Abend im Zentrum des ersten Hochschultages an der Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil-Jona. Damit der laut Rektor Daniel Seelhofer naturnahe und «schönste Campus der Schweiz» auch so bleibt, arbeite die Hochschule intensiv an der Ausbildung von Fachkräften und in der angewandten Forschung in den drei Schwerpunktthemen Klima und Energie, Künstliche Intelligenz sowie Gesundes Leben und Altern.
Dass dieses Engagement bemerkt wird, zeigte die Videobotschaft von Bundesrat Guy Parmelin, der als Vorsteher des Wirtschafts-, Bildungs- und Forschungsdepartements froh sei, dass «die OST hilft, die Klimastrategie des Bundesrates umzusetzen». Bildungsdirektor Stefan Kölliker attestierte der OST einen Praxisbezug und eine Ausbildung, die «sich an den aktuellen Herausforderungen und den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientiert».
Den Rahmen für den kommenden Abend setzte ein Videobeitrag, der die Fragen an denen die OST arbeitet, zusammenfasste: Wie speichern wir erneuerbare Energie? Wie bauen wir klimafreundlich? Wie können Software und Daten dem Klima helfen? Wie lassen sich Schäden in der Natur reparieren? Welche Perspektiven haben Menschen, deren Heimat bald unbewohnbar sein wird?
Vernetzte Probleme verlangen nach interdisziplinären Lösungen
Dass es nicht die eine Lösung für alle Klima-Herausforderungen gibt, zeigte der Nachhaltigkeitsbeauftragte der OST, André Podleisek auf. Etwa am Beispiel von schmelzenden Gletschern und Unwettern mit extremen Niederschlägen: «Viel Wasser, das in sehr kurzer Zeit auf trockene Böden trifft, bringt gleichzeitige Herausforderungen für die Entwässerung, für die Landwirtschaft und für Flüsse und Siedlungen in deren Nähe.» Die Schweiz sei überdurchschnittlich vom Klimawandel betroffen – es sei bereits 2,5 Grad wärmer als im langjährigen Vergleich, während die Temperatur im weltweiten Durchschnitt erst bei etwas mehr als 1 Grad Erwärmung stehe. Deshalb habe die Schweiz allen Grund «Vorreiterin zu werden, was Lösungen betrifft, um mit dem Klimawandel fertig zu werden», so Podleisek.
Dass es dafür nicht immer gleich ausgefeilte technische Lösungen braucht, zeigte Jasmin Joshi auf. Die Leiterin des Instituts für Landschaft und Freiraum warb für naturbasierte Lösungen. Bäume seien extrem effizient, was die Kühlung von Siedlungen im städtischen Raum betreffe. Weil durch die Klimaerhitzung heute heimische Baumarten in der Schweiz aussterben werden, erforschen Joshi und ihr Team die Kühlleistung verschiedener Baumarten, die auch in heissem Klima überleben können, mittels Wärmebild-Drohnenanalysen. Die Ergebnisse sind beeindruckend: «Baumkronen sind an heissen Sommertagen 20 bis 30 Grad kühler, als Rasenflächen», so Joshi. Das konnte auch Moderator Florian Inhauser bestätigen, der durch den Hochschultag führte. Er selbst habe in seiner Zeit in London seine heisse Dachwohnung regelmässig gegen den nahen Park mitten in der Stadt eingetauscht.
Mit Bäumen ist es aber nicht getan. Das zeigten die nachfolgenden Diskussionen. Die vernetzten Probleme, die der Klimawandel mit sich bringt, verlangen für Lineo Devecchi, Leiter des Zentrums für Gemeinden, nach interdisziplinären Lösungen, an denen die ganze Gesellschaft arbeite. Devecchi plädierte in einer Podiumsdiskussion zusammen mit Susanne Schellenberger vom Klimacluster der OST nach gemeinsamen Anstrengungen von Gemeinden, Unternehmen und der Bevölkerung. So hätten Gemeinden etwa nur auf vier Prozent der CO2-Emissionen einen direkten Einfluss – «deshalb müssen sie die Bevölkerung und die Unternehmen mehr ins Boot holen, um ihre selbst gesteckten Klimaziele erreichen zu können», so Devecchi. Denn während sich Gemeinden und Städte vor allem auf Klima-Massnahmen beim Verkehr, bei der Stromerzeugung und beim Heizen konzentrierten, sei der private Konsum und die private Energiebeschaffung von Bevölkerung und Unternehmen der grössere Treiber von CO2-Emissionen.
Um die Bevölkerung und die Unternehmen ins Boot holen zu können, brachte Nina Stern vom Zentrum für Ethik und Nachhaltigkeit «neue Narrative» in die Diskussion ein. Also neue motivierende Erzählungen darüber, welchen Einfluss der Mensch auf eine Zukunft hat, die nicht in einer Klimakatastrophe enden muss. Fortschritt und Wachstum der Menschheit seien heute in Ausbeutung und Umweltzerstörung gekippt. Deshalb «haben wir kein Recht, vor der durch uns ausgelösten Klimakrise zu kapitulieren», so Stern. Es gelte, die Menschen in eine positive Zukunftserzählung mitzunehmen und individuelles, klimafreundliche Verhalten zu fördern. Statt vor der Klimakrise zu kapitulieren plädierte Stern dafür, eine «geliebte Zukunft» zu skizzieren und die Überzeugung zu fördern, dass «jede Handlung hin zu einem ökologischen Konsum ein Beitrag in die richtige Richtung ist».
Effizienz ist nicht immer hilfreich
Dieser Grundüberzeugung, Lösungen zu suchen, statt den Kopf in den heissen Boden zu stecken, folgten die anschliessenden Podiumsdiskussionen mit Expertinnen und Experten der OST. Dabei zeigten sich auch Widersprüche, die nicht einfach zu verdauen waren. So sei etwa die berühmte schweizerische Effizienz nicht nur gut. «Bis ins 18. Jahrhundert war der Mensch ein Treiber für die Artenvielfalt in der Schweiz, seit dem 19. Jahrhundert haben wir die Natur aber sehr effizient entwässert, abgeholzt und asphaltiert – so effizient, dass der Klimawandel bei uns stärkere Auswirkungen hat, als im Ausland», stellte Jasmin Joshi fest. Umso wichtiger sei es nun, diese Effizienz in die andere Richtung hin zu mehr Klima- und Umweltschutz zu nutzen. Dafür sahen Lineo Devecchi und Susanne Schellenberger die Gemeinden und Städte als wichtige Treiber, um «vom Abwarten ins Handeln zu kommen». Die an der OST entwickelte Starthilfe für kommunalen Klimaschutz könne Gemeinde zum Beispiel helfen, in ihren direkt beeinflussbaren Bereichen «einfach mal mit Klimaschutz anzufangen und in ihrer Vorbildrolle Bevölkerung und Unternehmen auf dem Weg mitnehmen», so Schellenberger.
Kohlenstoffdioxid als Management-Leitlinie
Bei interdisziplinären Lösungen dürfen Wirtschaft und Technik natürlich nicht fehlen. Entsprechend widmeten sich Vertreter dieser Disziplinen beim zweiten Podium dem Thema «Carbon Management», also dem Ziel «alle CO2-emittierenden Prozesse durch CO2-freie zu ersetzen», wie Elimar Frank vom Institut für Wissen, Energie und Rohstoffe erklärte. Weil aber nur jedes achte KMU in der Schweiz überhaupt wisse, welchen CO2-Ausstoss welcher Geschäftsbereich verursache, «muss CO2 zum Managementgegenstand in der Unternehmensleitung werden», so Stefan Nertinger vom Kompetenzzentrum Strategisches Management. Die Motivation dafür sollte für Unternehmen auch finanziell logisch sein, denn «im Wort Kohlenstoffdioxid steckt Kohle drin – und zwar die, die man jeden Tag für fossile Energieträger in seinen Unternehmensprozessen ausgebe», so Nertinger.
Doch genau darin, die richtigen Einflussgrössen auf den eigenen CO2-Ausstoss zu kennen, steckt die Herausforderung, wie Frank ergänzte. Ein Elektroauto habe zum Beispiel null CO2-Ausstoss, wenn man nur den Motor berücksichtige – Produktion und Lieferketten wie etwa die Batterieherstellung rund um Elektroautos verursachen jedoch hohe Emissionen. Genau deshalb seien Lösungen für eine nahhaltige, klimafreundliche Zukunft nur durch interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Fachbereiche und Menschen möglich, schloss Podleisek das Podium: «Es reicht nie, zu sagen, dass man DIE Technologie habe und diese jetzt einfach nur noch von allen genutzt werden muss. Um technische Lösungen herum müssen immer finanzielle und politische Anreize und Rahmenbedingungen geschaffen sowie faktenbasierte Forschung, Entwicklung, Beratung und Information durch Fachhochschulen und andere Akteure angeboten werden, damit Unternehmen und Bevölkerung die Technologien auch richtig und in den wirklich klimarelevanten Bereichen einsetzen wollen und können.»
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