Soziale Frage Aktuell: Eine Spurensuche in St. Gallen

Während eines Praxisprojektes (Begleitung Maren Schreier und Stefan Paulus) und eines Wahlpflichtmoduls (Begleitung Thorsten Wagner und Stefan Paulus) zur „Sozialen Frage Aktuell“, haben sich die Teilnehmenden verschiedener künstlerischer und medialer Mittel bedient und die hier präsentierten Beiträge erarbeitet.  

Mittels Ortsbegehungen durch St. Gallen wurde der Sozialen Frage nachgespürt. Es wurde danach gesucht, wo sich im Stadtbild die Soziale Frage manifestiert, wo sie sichtbar wird und wie sie sich dort zeigt. Die Studierenden erstellten dabei Tonaufnahmen, Fotografien und Videos, die als erste Spuren gesammelt wurden. 

 Dieser Fundus an Eindrücken diente als Inspiration und Gesprächsstoff, um eigene Projekte daraus zu entwickeln.  

 Im Ergebnis entstanden nicht nur sehr unterschiedliche Medienprojekte, sondern auch viele Gespräche und Diskussionen darum, was die Soziale Frage in der Gegenwart ausmacht. Dabei wurde vor allem klar, wie schwierig es ist, sich in den Widersprüchen, die uns dabei begegneten, zu positionieren. In diesem Spannungsfeld sind diese Arbeiten entstanden. Sie zeugen von der Schwierigkeit in einer komplexen gesellschaftlichen Gemengelage, mit ihren vielfachen Ungerechtigkeiten, eine Haltung zu formulieren. 

Wem gehört die Stadt?

Ein Videoessay zum Thema „Wem gehört die Stadt?“

von Corinna Schnyder; Pascal Götte; Damaris Dietrich; Marion Thürlemann; Benjamin Trösch
Vielen Dank an alle, die beim Video mitgewirkt haben.

 

Der Träumer

Ein audiovisuelles Gedicht von Corin Egli, Hannah Roth, Chantal Wider und Michelle Zweifel 

Der Träumer ist eine fiktive Erzählung in Form eines audiovisuellen Gedichts.  Es beschäftigt sich mit dem Thema der Armut und schöpft aus den Möglichkeiten verschiedener Medien. Möglichst frei von Stigmatisierungen verdeutlichen wir dabei die Wichtigkeit der Armutsdiskussion.  

Intersektionalität

Ein Tabletop-Erklärvideo von Maya Armbruster und Saranda Emini 

Im folgenden Projekt wird die Soziale Frage und deren Reproduktion mit dem Beispiel von Diskriminierung anhand des Intersektionalitätsprinzips erläutert.

Whatever

Ein Kurzfilm von Michelle Heinrich, Britta Rentsch und Natascha Martha Rhyner  

Es ist dunkel und du bist allein auf dem Heimweg. Wie fühlst du dich dabei? Trägst du ein Mittel zur Verteidigung mit dir mit oder nimmst du lieber ein Taxi? Dieser Ausschnitt aus dem Alltag zeigt, wo wir die Soziale Frage entdeckt haben. 

Die „Soziale Frage“ und keine Lösung – Ein Stimmungsbild aus St. Gallen

Ein Artikel von Liandro Pereia mit Grafiken von Thorsten Wagner

Als Basis dieses Artikels wurden verschiedene Personen interviewt, die aus ihrer jeweiligen Perspektive heraus auf die gleichen Fragen antworteten. Ihre Versuche uns verschiedene Möglichkeiten zur "Lösung" der sozialen Frage aufzuzeigen, ergab ein interessantes Stimmungsbild.

Bei dem Versuch Aspekte der Sozialen Frage in St. Gallen aufzuspüren, habe ich unterschiedliche Leute interviewt. Darunter z.B. ein Wirtschaftler, ein Pädagoge und ein Sozialarbeiter, aber auch einfache Passanten auf der Straße.
Dabei hat mich interessiert, wie unterschiedlich oder auch ähnlich die Interviews ausfallen würden. Die Fragen habe ich dabei bewusst offen gestellt, um möglichst unterschiedliche Antworten aus verschiedenen Perspektiven zu erhalten. Die Ergebnisse und vor allem deren vielmals vorherrschende Ähnlichkeit haben mich allerdings überrascht. Ein Sozialwissenschaftler stach dadurch aus der Masse hervor, dass er keine meiner Fragen beantworten konnte. Seine Argumentation: „Dafür müsste ich bis ins 19. Jahrhundert zurück“. Ein Fokus lag auf der Gewaltbereitschaft von Jugendlichen, weil im Kanton St. Gallen, sehr zeitnah aufeinander, zwei Jugendliche bei Auseinandersetzungen ums Leben kamen.

So wollte ich als erstes wissen, ob die Personen viel in St. Gallen unterwegs sind, bzw. im Ausgang, weil um diese Zeit die meisten Auseinandersetzungen passieren. Wie erwartet, waren die Jugendlichen und Jungerwachsenen unter 30 Jahre eher im Ausgang und die ältere Generation nicht mehr. Als Argument bei den älteren wurde vor allem erwähnt, dass kein Interesse mehr am Nachtleben existiert und sie dort „nichts mehr zu suchen“ hätten.
Was aber allen gemeinsam ist: keiner fühlt sich mehr wohl dabei, allein in der Nacht durch St. Gallen zu laufen. Angst sei es bei niemandem, aber Respekt. Besonders an gewissen Orten. So meinten die meisten Personen, dass vor allem in engen Gassen und Straßen der Puls ein bisschen steige. Nur eine einzige Person meinte, er fühle sich noch wohl alleine in St. Gallen, allerdings bevorzugt es diese Person durchaus mit seiner Gruppe herumzulaufen.
Das Thema der Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen kam bei den Befragten sehr schnell auf. Es scheint, als wäre dieser Aspekt der sozialen Frage bei allen Generationen sehr präsent. Alle Personen schienen das Thema bereits im Hinterkopf zu haben und hatten eine Antwort parat. Die meisten waren erwartungsgemäß entsetzt darüber oder traurig, dass so viel Gewalt herrscht.
Die älteren Generationen waren vor allem der Meinung, dass der Respekt gegenüber Waffen fehle. Auch bei ihnen hätte es schon Auseinandersetzungen im Ausgang gegeben und Orte, die man meiden wollte. So erwähnten sie aber, es sei nie eine Waffe im Spiel gewesen.

Die Jugendlichen finden, die Auseinandersetzungen entstünden meist grundlos und eigentlich wäre alles ohne Gewalt zu lösen. Dass dabei Waffen eingesetzt werden, sei jedem bewusst und es gehöre schon fast zur Normalität. Die befragten Frauen gaben an, mindestens ein kleines Pfefferspray dabei zu haben. Auch hat eine befragte Person seiner Freundin ein Pfefferspray gekauft - für den Notfall, wie er meinte. Die befragten Jugendlichen wollen sich oder andere schützen. Dabei sei allen bewusst, dass jederzeit bei einer Auseinandersetzung von jemandem ein Messer gezogen werden könnte. Das sollte niemals zur Normalität werden, wie sie sagten.
Als Grund für die Spannungen bei Jugendlichen wird oft die Corona-Zeit genannt. Die Jugendlichen können nicht nach draußen, können sich nicht zeigen und müssen viel zuhause sein. Es staue sich dabei eine Spannung an, die irgendwo anders herausgelassen werden müsse.
Auch die Psyche der Jugendlichen leide darunter, je nach häuslichen Verhältnissen stärker oder schwächer. Auch dass immer mehr Jugendliche an Burn-Out leiden wäre ein Beweis dafür, dass irgendwas nicht okay sei.
Die meisten sind der Meinung, dass nicht unbedingt die Gewaltbereitschaft gestiegen sei. Sie sei schon immer da gewesen, aber die Hemmschwelle sei deutlich verschoben worden. Heute würde sehr schnell zum Messer gegriffen. Diese Meinung vertreten alle Interviewpartner.

Anschließend wurde mein Fokus globaler. Ich fragte: „Wem gehört die Welt?“ Nicht überraschend kamen hier alle auf die gleiche Antwort: „Die Welt gehöre uns allen“. Dementsprechend wären wir auch alle verantwortlich, was mit dieser Welt geschieht und es sollte Soziale Gleichheit herrschen. Hier spielten Alter, Beruf oder sonstige Unterschiede keine Rolle. Schön zu sehen, dass hier alle diese Ansicht teilten.
Spannend wurde es wiederum bei der Frage, was für Gedanken der Satz „Die Soziale Frage ist die Artikulation von kollektiven Wünschen an eine andere Zukunft“ bei ihnen hervor rufe.
Diese Frage konnten nicht alle beantworten, weil sie sich darunter nichts vorstellen konnten. Zu diesen Personen gehörten tatsächlich alle, die kein Studium absolviert hatten. Pädagoge, Wirtschaftler und Sozialarbeiter konnten diese Frage beantworten, allerdings sehr unterschiedlich und doch treffen sie sich am Schluss zu einem gemeinsamen Nenner.
Dieser Nenner ist, dass die Missstände und Probleme kollektiv aufleuchten und auf die jeweilige Zeit angepasst sind. So war die Soziale Frage früher auf die Industrialisierung bezogen und heute beziehe sie sich auf generelle Missstände unserer Gesellschaft, wie z. B. Arbeitslosigkeit oder Armut.

Die letzte Frage war persönlicher Natur. Ich wollte wissen,  was die jeweilige Person sich von der Gesellschaft wünscht oder was die Gesellschaft machen muss, damit soziale Fragen entsprechend behandelt und gelöst werden können. Bis auf eine Person haben alle diese Frage sehr ähnlich beantwortet. Sie wünschten sich ein Miteinander anstatt ein Gegeneinander. Sie wollten Konflikte mit Kommunikation lösen anstatt mit Gewalt. Sie wollen, dass Bedürftige unterstützt werden und dass ihnen geholfen wird. Die älteren Personen solle man wieder mehr respektieren. Dass sich die Gesellschaft wieder mehr bewusst wird, was man anderen Menschen antun könne, wenn man nicht friedlich miteinander umginge. Oder eben umgekehrt, was man bewirken könne in einem Menschen, wenn man füreinander da sei. Jeder ist der Meinung, dass man so viele Delikte vermeiden könnte. Vor allem wolle man, dass auf Probleme reagiert wird, bevor etwas passiere. Oft werde erst etwas unternommen, wenn bereits das Unglück geschehen sei.
Eine Person stach bei dieser Frage heraus, nämlich ein Jurastudent. Seiner Meinung nach müsse man: „Den Menschen früher die Freiheit entziehen, bevor sie anderen die Freiheit nehmen. Ich bin für härtere Gefängnisstrafen. Kann nicht sein, dass bei einer fahrlässigen Tötung eine Maximalstrafe von 5 Jahren droht“. So ist seine Meinung zwar auch, dass man vorher handeln müsse, bevor etwas geschähe, allerdings würde er dabei die Maßregelung bevorzugen.

Für mich persönlich war es sehr interessant, verschiedene Leute zu interviewen und deren Meinung bezüglich der soziale Frage zu erfahren. Die soziale Frage ist so offen und global, dass bestimmt jeder etwas dazu sagen kann und doch gibt es keine eindeutige Antwort. Viele haben die gleichen Ideen oder Wünsche, definieren sie aber anders. Denn auch unterschiedlichste Perspektiven treffen sich irgendwo bei einem Gemeinsamen Nenner. Vielleicht sind die Methoden oder Ziele anders definiert, sie haben jedoch schlussendlich den Wohlstand innerhalb ihrer Gesellschaft zum Ziel. Daran glauben alle, egal aus welcher Ortschaft, Generation oder aus welchem Beruf. Sie wollen alle in einer friedlichen Gesellschaft leben, in der niemand Angst um die Existenz haben muss.
Dies ginge nur miteinander. Jeder müsse sich beteiligen und manchmal auch wagen, den ersten Schritt zu tun. Sehen könnten wir das in der Politik, wo jede einzelne Stimme zähle. Und es sei auch wichtig seine Stimme zu zeigen. Man sei Teil der Gesellschaft also müsse man auch mit ihr Interagieren. Die Ausrede „Allein bewirke ich eh nichts“ gälte nicht. Wenn alle so denken würden, wäre das eine Katastrophe. Die Jugendliche und auch die Älteren müssten sich zeigen, wenn ihnen etwas nicht passe. Nur so könne man gemeinsam weiter vorankommen und gemeinsam eine Lösung für alle finden. Würde das nicht gemacht, so ändere sich alles nur sehr langsam oder auch gar nicht.

Ein Mixed Media Kunstprojekt von Milena Ebneter und Nina Teuscher

Das Projekt «Grenzenlos hilflos» repräsentiert die immer weiter aufgehende soziale Schere. Mit Hilfe einer kreativen Methode versucht es dazu anzuregen, das eigene Handeln kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren. Soziale Ungleichheit wird sich nicht von allein beheben, sondern mit dem Engagement der Gesellschaft.

Unser Kunstprojekt trägt den Namen "grenzenlos hilflos" und thematisiert die soziale Ungleichheit arm und reich in der heutigen Gesellschaft. Es zeigt unser Verständnis der sozialen Frage.

Wir haben uns entschieden die symbolischen Gegenstände zu vakuumieren. Dadurch werden sie lange Zeit haltbar und vom Rest abgegrenzt. Das Vakuum stellt somit nicht nur die verschiedenen Milieus und Meinungen dar, sondern auch die räumliche Trennung unterschiedlicher Gesellschaftsschichten. 

Aktuell spiegelt sich die Frage nach bestehenden Ungleichheiten in der immer weiter auseinandergehenden sozialen Schere wieder. Jede*r lebt in einer eigenen Realität oder wie wir es künstlerisch darstellen, in einer eigenen Bubble.

Über Fotografien haben wir die vakuumierten Objekte bildlich festgehalten. Sie fordern dazu auf kreativ und kreativ und "out of the box" zu denken und kritisch die Differenzen in unerer Gesellschaft zu hinterfragen.

Unsere Kunst stellt die Unterschiede zwischen arm und reich klischeehaft dar und soll die Betrachtenden zum Denken anregen.

Ein Objekt mit Audiointerviews von Ljiridona Ismaili, Chiara Schawalder und Silja Vogel

Wir waren in der Stadt St. Gallen unterwegs und haben Passanten zu der spannenden Frage «Wem gehört die Welt?» interviewt. Die Antworten, die wir dabei erhalten haben, haben wir als Symbole auf einer Weltkugel festgehalten. Sie wurden mit Pins darauf angebracht, so dass sie jederzeit entfernt und durch etwas neues ersetzt werden können. Sie sollen damit den Wandel und die Veränderung der Sozialen Frage repräsentieren.

Eine Malerei von Simon Lorenz Steinbeck

Das Konzept politische, soziale oder ähnliche Themen aufzuzeigen ist spätestens seit der Aufklärung fester Teil der Malerei. Deshalb, und wegen miener hobbymässigen Faszination mit Malen und Zeichnen, entschied ich mich für dieses Medium.

Persönlich bin ich der Ansicht, dass die Vermögensverteilung einer der wichtigsten Aspekte der Sozialen Frage darstellt. Ich wollte dieses Thema, welches normalerweise in Zahlen und Statistiken beschrieben wird, in einer etwas abstrakteren und anschaulicheren Form darstellen. Ein wenig Statistik ließ ich allerdings trotzdem in das Bild einfließen. Die statistische Darstellung wollte ich allerdings nie den ästhetischen Entscheidungen in den Weg stellen. 

Der Titel soll die Vorstellung einer Dystopie etwas herausfordern. In Medien wie Filmen und Büchern wird dieser Begriff oft in Verbindung von oppressiven Regimen, heldenhaften Widerständen und Kriegen dargestellt. Die wahre Dystopie, in der wir allenfalls bereits leben, ist viel weniger spektakulär. Sie besteht aus Systemen, subtiler Politik, Zinssätzen, Rückverteilungsmechanismen (oder deren Mängel) und Leuten, die zwar darunter leiden, sich aber nie wirklich dagegen auflehnen können. 

Bei meiner Recherche und Inspirationssuche stieß ich auf viele Artikel und Informationsquellen, welche speziell herausgestochen sind. Manche, weil sie Problematiken der Vermögensverteilung sehr gut veranschaulichen, andere weil sie die ungerechte Vermögensverteilung beinahe satirisch (aber von den Autor*innen durchaus ernstgemeint) vergöttern. Diese Artikel habe ich in einer Art Collage in das Bild eingebunden.

Statt in zeichnerischer Form zu skizzieren habe ich mir Statistiken angeschaut, die dann als Grundlage für den Bildaufbau dienten.  Die folgenden Angaben des Bundesamtes für Statistik waren dabei ausschlaggebend: Das reichste 1% besitzt 43% des Gesamtvermögens. Ergo besitzen 99% der Bevölkerung 53% des Gesamtvermögens.  8% (also ca. jede zwölfte Person) lebt unter der Armutsgrenze, was ein Einkommen von <4000 für eine vierköpfige Familie bedeutet.