Archiv Kunstfenster

Das Kunstfenster findet man beim Eingang des OST-Campus in St.Gallen. Darin befinden sich wechselnde Kunstinstallationen. Auf dieser Archivseite sind die Informationen mitsamt Bildmaterial aller vergangenen Inszenierungen aufgeführt und können so noch einmal bewundert werden. Stöbern Sie durch das Archiv und erfahren Sie mehr über die ehemaligen Kunstfenster.

Kontakt

Elias Torra
Leiter Fachstelle Kunst

+41 76 420 91 69
elias.torra@ost.ch

Im November 2024 zeigte das Kunstfenster das Acryl «Ohne Titel» (2008) der Künstlerin Nicole Böniger (*1970).

Wenn man sich dem Kunstfenster vom Eingang her nähert, könnte man das Objekt auf dem Buchgestell beinahe für ein aufgeschlagenes Buch mit geschwärzten Seiten halten. Bei näherer Betrachtung erweist es sich als ein kleinformatiges Gemälde. Zu sehen sind zwei miteinander verbundene schwarze Quadrate, deren abgerundete Ecken den hellen Hintergrund freigeben. Das linke Quadrat muss vom Betrachtenden vervollständigt werden. Die Statik des Quadrats erhält so eine Dynamik, die noch verstärkt wird durch die asymmetrische Aufteilung des Bildes sowie den Umstand, dass das rechte Quadrat im Uhrzeigersinn leicht gedreht ist, sodass dessen Seiten nicht parallel zum Bildrand verlaufen. Solche Details verlebendigen das Gemälde.

Nicole Böniger (*1970), Ohne Titel (2008), Acryl auf Leinwand
Ohne Titel (2008), Acryl auf Leinwand // Nicole Böniger (*1970 in St.Gallen, lebt in Zürich)

Die acht kleinen Quadrate, die über das Bild ausgestreut sind, schaffen einen hellen Kontrapunkt zur tonangebenden Schwärze und verleihen dem Bild etwas Leichtes, beinahe Heiteres. Sie scheinen unabsichtlich über die Leinwand verteilt, ohne jedoch chaotisch zu wirken. Vier dieser Quadrate lassen sich so miteinander verbinden, dass eine Diagonale entsteht, aber diese ist nicht ganz präzise. Zufall und Ordnung halten sich die Waage.

Je nachdem von welchem Winkel aus man das Bild betrachtet, erscheint die Farbe tiefschwarz oder glänzend wie ein Spiegel, der jedoch uneben ist: Die Acrylfarbe hat Schlieren und Tropfen hinterlassen; das Bild gewinnt eine taktile Qualität. Auch hier hat der Zufall mitgespielt.

Nicole Böniger (*1970), Ohne Titel (2008), Acryl auf Leinwand

Die in St. Gallen geborene Malerin und Zeichnerin Nicole Böniger (*1970) erkundet in ihren Arbeiten den Grenzbereich zwischen Kalkül und Zufall. Ihre minimalistischen Bilder leben vom sorgfältig austarierten Einsatz von Farben und Formen und der Freude an überraschenden Kombinationen. Die Künstlerin verfügt über eine reiche Farbpalette, wobei sie eine Vorliebe für Pastelltöne wie Mintgrün, Hellblau und Rosa zeigt. Das abgerundete Viereck und die über die Fläche des Bildes verteilten kleinen Quadrate sind Leitmotive ihres bildnerischen Schaffens, die immer wieder variiert und zu Serien ausgestaltet werden.

Von September bis Oktober 2024 zeigte das Kunstfenster des Fachhochschulzentrums Ergebnisse der Projektwoche der ArchitekturWerkstatt. Die öffentliche Schluss-Performance fand in der Bahnhofshalle St.Gallen statt.

Mit der All School Charrette startet die ArchitekturWerkstatt jeweils in das neue Studienjahr. Diese semesterübergreifende Projektwoche, in der Bachelor- und Masterstudierende zusammenarbeiten, fand im Jahr 2024 zum Thema «architektonische Gewänder» statt. Angeleitet vom Team der ArchitekturWerkstatt, beschäftigten sich die Studierenden mit der Konzeption eines Gewandes, das mindestens zwei Personen in Aktion einbezog.

Aufgabe und Vorgehen

Über Arbeitsmodelle, Fotos, Skizzen und Zeichnungen entwickelten die Studierenden architektonische Vorstellungen zu einem Gewand. Es wurde Material gesammelt und erprobt, in den Werkstätten genäht, geklebt, gesägt, zusammengefügt und die Präsentation vorbereitet. Zum Abschluss wurden die Gewänder im Bahnhof St.Gallen in einer öffentlichen Performance zur Schau getragen und die Ergebnisse mit Gästen diskutiert.

Ergebnisse der Projektwoche ArchitekturWerkstatt

Vom 14. Juni bis zum 20. Dezember 2022 war im Kunstfenster des Fachhochschulzentrums die Serie «Talking Shirts» von Birgit Widmer zu sehen. Ihr erstes Talking Shirt hat Birgit Widmer 2018 am Fair Fashion Day in Zürich bestickt, es zeigt den QR-Code eines Flugtickets.

Dass die Künstlerin für ihre Auseinandersetzung mit fairer Mode und Fast Fashion ein Second-Hand-Shirt aus der globalen Massenproduktion als Bildträger gewählt hat, ist konsequent und passt zu ihrer Arbeitsweise. Seit einem längeren Atelier-Aufenthalt in Finnland nutzt sie bevorzugt leicht transportierbare, gern auch ortsspezifische Materialien, die sie nicht an eine feste Produktionsstätte binden. Beispielsweise Fundholz, Papier, Stroh oder schwarzes Garn, das sie zu Fadenbildern spannt oder eben auf T-Shirts, Tücher und selbstgenähte Zelte stickt.

Manche Talking Shirts sind für Familienmitglieder oder Bekannte entstanden und für Ausstellungen wie in der Fachhochschule leihweise wieder im Besitz der Künstlerin. Zum Teil handelt es sich bei den Motiven um freundschaftliche Widmungen an die Träger:innen, etwa wenn auf einem T-Shirt verschiedene Gender-Pronomen durchdekliniert und ganz buchstäblich dekonstruiert werden. Die sprachlichen Aussagen und Statements stammen aus Büchern oder mitgehörten und selbstgeführten Unterhaltungen, es sind Fundstücke, die die Künstlerin nicht mehr losgelassen und sich quasi in ihre Arbeit – wie sie selbst formuliert hat – «eingeschrieben» haben.

In der Präsentation im Kunstfenster treten die Shirts nicht von vornherein in der Gruppe auf, sondern wechseln etwa im Zwei-Wochen-Turnus. Um die im Ausstellungstitel angekündigte «Conversation» verfolgen zu können, sind mehrere Besuche in der Fachhochschule nötig. Das Shirt mit dem QR-Code hat auch hier den Anfang gemacht und wirft vielfältige Fragen auf: nach den Produktionsbedingungen der Modeindustrie, die von billigen Arbeitskräften in Niedriglohnländern und günstigen Transporten um den Globus profitiert, aber auch nach den Bedingungen und Folgen unserer eigenen – oft sehr privilegierten – Mobilität (wiederum in Birgit Widmers Worten: «werden wir zu Waren, wenn wir auf Reisen sind?»).

Das Sticken im Kreuzstich, im jungen Bürgertum ein Zeitvertreib für besser gestellte Frauen und höhere Töchter, wird bei Birgit Widmer zum Mittel, das den Blick auch auf künstlerische Fragen nach Vergänglichkeit und Wandel lenkt. Die Talking Shirts lassen sich so auch als Weiterführung des Konversationsstücks lesen, einem Genre, das im 17. und 18. Jahrhundert besonders populär war und das gesellige Miteinander in privaten oder öffentlichen Settings, etwa in Salons oder Parks ins Bild setzte. Statt Personen und Positionen rücken die Shirts als Konversationsstück der Gegenwart die Vielstimmigkeit in den Vordergrund, die heute das Verbundensein und die Verortung über gesellschaftliche Schichten und Zeiten hinweg ermöglicht und manchmal auch erschwert.

Text: Patricia Holder (gekürzte und leicht überarbeitete Fassung der Ansprache zur Eröffnung)

Birgit Widmer, Talking Shirts (Conversation)
Birgit Widmer, Talking Shirts (Conversation)
Birgit Widmer: Talking Shirt 1: werden Waren wir (swisspass).

Birgit Widmer (*1964) lebt und arbeitet in Gais, Schweiz. In ihrer künstlerischen Praxis fertigt Birgit Widmer filigrane Zeichnungen und Skulpturen an, die sie als Szenen installiert. Die bildende Künstlerin beschäftigt sich mit den Fragen: Was ist ein Körper, warum ist er und was bedeutet er, was bedeutet es, dass er ist für wen und wo? Wo und in welchem Feld bewegen und verändern sowie beeinflussen sich Körper? Bewusst verwendet sie für ihre Arbeiten natürliche Materialien, wie Holz, Stroh, Kohle, Faden und in jüngster Zeit auch Wachs. Sie interessiert sich für leicht transportierbares Material, die Beweglichkeit der Materie sowie die Thematik Zustand, Zustände, die sich ändern oder auflösen.

2018 war Birgit Widmer Atelierstipendiatin des Amts für Kultur, Kanton St. Gallen in Rom, 2013 Atelierstipendiatin des Amts für Kultur, Appenzell Ausserrhoden, 1992 erhielt sie den Förderpreis des Amts für Kultur Appenzell Ausserrhoden.

Portfolio Birgit Widmer

birgitwidmer.kleio.com
birgitwidmer.ch