SmartSleep korreliert tägliches Verhalten mit dem Schlafmuster

Gute Schlafqualität steht in engem Zusammenhang mit Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität. Allerdings nehmen Schlafstörungen zu, die den Alltag Betroffener zum Teil stark beeinträchtigen. Schlafstörungen konnten bislang nur durch kostenintensive Beobachtungen im Schlaflabor behandelt werden. Mit Hilfe moderner, tragbarer Sensorik ist nun eine unkompliziertere Diagnostik möglich.

Wie aktiv und vital ein Tag abläuft, hängt massgeblich von einem regelmässig guten Schlaf ab. Seit einigen Jahren jedoch steigt die Zahl sich wiederholender Schlafstörungen, die häufig zu chronischen Gesundheitsproblemen führen. In der Schweiz sind momentan etwa 20% der Bevölkerung von Schlafstörungen betroffen. Üblicherweise werden Schlafstörungen in Schlaflaboren untersucht. Sogenannte Polysomnographie-Messungen ermitteln die individuellen Schlafstrukturen einer Patientin oder eines Patienten, also die Abfolge verschiedener Schlafphasen sowie ihr Verhältnis zueinander.

Die Herausforderung: verbesserte Datenbasis mit mobiler Diagnostik

Die Nacht im Schlaflabor bringt verschiedene Nachteile mit sich: Sie ist teuer und ermittelt nur die Werte einer einzigen Nacht. Zudem muss der Patient in einer ungewohnten Schlafumgebung zurecht kommen. Eine komfortable Lösung, alle drei Probleme gleichzeitig zu lösen, bieten Smartwatches, Fitness-Armbänder sowie Smartphone-Apps (sogenannte «Wearables»). Sie werden oft nonstop am Körper getragen und können Daten zu individuellen Schlaf- und Lebensgewohnheiten sammeln, darunter auch Daten zu Schlafphasen.

Infografik: Symbol Mensch tagsüber am Laufen mit Handy, abends Mensch auf Bett mit Handy.
SmartSleep: Wearables analysieren rund um die Uhr die Aktivitäten der Patientin oder des Patienten und werten die Daten für eine individuelle und effiziente Therapie aus.

Aus der Korrelation zwischen dem Tagesablauf und der Schlafstruktur lassen sich benutzerspezifische Vorschläge für Verhaltensänderungen ableiten, die den Patientinnen und Patienten einen besseren Schlaf ermöglichen. Ein solches System würde die Schlafmedizin revolutionieren und hätte vielfältige Einsatz­möglichkeiten, z. B. in der Gerontologie, der Rehabilitation oder bei der Früherkennung und Behandlung von Depressionen.

Handelsübliche Wearables lieferten bisher allerdings Datensätze, die bei Weitem nicht an die Qualität einer Schlaflaboranalyse herankamen. Daher waren solche Daten klinisch nicht validiert und für den medizinischen Einsatz nicht brauchbar.

Die Lösung: Smartwatches noch smarter machen

Damit tragbare Sensorik die Aktivitäten von Benutzenden besser erkennt und auch Schlafphasen sicher definieren kann, entwickelten die Forschenden im Projekt SmartSleep Lösungsansätze für die Verfeinerung der Analytik. Durchgeführt wurde SmartSleep am IPM Institut für Informations- und Prozessmanagement der OST – Ostschweizer Fachhochschule unter Leitung von Prof. Dr. Ulrich Reimer.

Einen Schwerpunkt setzte das Projekt notwendigerweise darauf, den Wearables die Erkennung der Schlafstruktur in klinischer Qualität beizubringen. Der andere Schwerpunkt lag darauf, Tagesaktivitäten differenziert zu erkennen.

Für die Verbesserung der Schlafanalytik wurden Freiwillige während einer Nacht im Schlaflabor zusätzlich zur üblichen Polysomnographie-Messung mit weiteren Wearables ausgestattet. Dazu gehörten Brustgurte, hochauflösende Accelerometer an Arm und Bein sowie Oberarmsensoren mit drei optischen Kanälen. Mit der Bestimmung der Schlafphasen durch Experten wurde jedem 30-Sekunden-Intervall der Wearable-Datenströme ein Schlafphasen-Label zugeordnet. Aus dieser Datenzuordnung, die auf dem Gold-Standard der Schlaflabormessung basiert, lernten die Wearables Klassifikatoren für die Schlafphasen.

Damit Messsysteme aus «low-level»-Sensordaten später auch ohne Hilfe von Schlaflaboren aussagekräftige Merkmale ableiten können («feature learning»), setzte das Forschungsteam vor allem Deep Learning-Ansätze ein. Die grosse Herausforderung dabei war, dass Wearables im Vergleich zu Analysen im Schlaflabor weniger Daten liefern, da weniger Sensorkanäle zur Verfügung stehen. Dennoch übertrifft die Genauigkeit der neu entwickelten Methode durch den Einsatz der Deep Learning-Ansätze in der Literatur veröffentlichte Erkennungsraten vergleichbarer Ansätze. Man muss beachten, dass die Bestimmung von Schlafphasen durch menschliche Experten nie zu 100% korrekt ist, ein AI-System somit ebenfalls keine 100% erreichen kann.

Tagesaktivitäten differenzierter erkennen

Elementare Aktivitäten, z. B. Gehen, Stehen oder Fahrradfahren, erkennen kommerziell verfügbare Apps mit hoher Genauigkeit. Die Erkennung komplexer Aktivitäten, wie Haushaltsarbeit, Gartenarbeit oder Einkaufen im Supermarkt, ist viel schwieriger und bislang ungelöst. SmartSleep entwickelte zur Verfeinerung wichtige Klassifikatoren, die es aber noch zu verbessern gilt. Die Charakterisierung des Verhaltens eines Benutzendens über den Tag bestimmt sich aus folgenden Merkmalen:

  • elementare Aktivitäten wie Gehen, Laufen, Fahrradfahren
  • komplexe Aktivitäten wie Kochen, Gartenarbeit, Einkaufen im Supermarkt
  • Körperposition (stehend, sitzend, liegend)
  • Stress-Level: Bestimmung über die App, die im SmartCoping-Projekt entwickelt wurde
  • auf Tagesphasen bezogener Aktivitätsindex (Vormittag, Nachmittag, Abend): berechnet sich aus Bewegungsdauer und -intensität in der gegebenen Zeitperiode

In einem Folgeprojekt sollen die Ergebnisse von SmartSleep zu einem klinisch zertifizierten Produkt weitergeführt werden.

Die Konfusionsmatrix zeigt die Güte der entwickelten Schlafphasen-Klassifikatoren.