Forschungsprojekt

Papieri Cham – zukunftweisendes Areal auf dem Weg zu Plusenergie

Das Papieri-Areal in Cham ist ein ehemaliges Industrieareal der Papierindustrie, das von der Cham Group in Etappen zu einem neuen Quartier mit im Endausbau 1000 Wohnungen und 1000 Arbeitsplätzen entwickelt wird. Die bestehenden Industriebauten werden saniert, umgenutzt und durch Neubauten ergänzt, so dass eine Kombination aus 30% Altbauten und 70% Neubauten entsteht. Die Energieproduktion für die Wärme- und Kälteversorgung, die durch das Planungsunternehmen AWIAG geplant worden ist, wird vollständig erneuerbar und CO2-neutral über zentrale Ammoniak-Wärmepumpen mit den zwei Wärmequellen Erdsonden- und Flusswasser gewährleistet. Auf den Dächern der Neubauten sind 6500 m2 PV und auf dem Areal ein Flusswasserkraftwerk mit 230 kW installiert, die im Jahr 2.4 GWh erneuerbaren Strom produzieren.

Das Areal ist ab 2022 als 2000-Watt-Areal zertifiziert. Im Papieri-Areal wird so die Energiewende auf Quartiersebene umgesetzt, was im Vergleich zum Einzelgebäude die Energiewende beschleunigt und 2024 mit den Watt d’Or ausgezeichnet wurde. Das Areal fungiert weiterhin als Forschungsplattform zur Auswertung von Wärmepumpenkonzepten in hocheffizienten Gebäudeclustern und Arealen. Als Beitrag zum internationalen Forschungsprojekt IEA HPT Annex 61 mit dem Titel «Wärmepumpen in Plusenergiequartieren» im Wärmepumpenprogramm (HPT) der Internationalen Energieagentur IEA dient das Areal als Demoprojekt für die Wärmepumpenintegration, die am IET Institut für Energietechnik der OST Ostschweizer Fachhochschule mit Modellierung und Simulation sowie Auswertung von Monitoring-Daten im Detail untersucht wird. Ziel ist eine Optimierung des Anlagenbetriebs der Wärme- und Kälteversorgung und das Ableiten von Best-Practice-Systemlösungen, die auch im internationalen Kontext ausgewertet werden.

Das Papieri-Areal in Cham ist ein ehemaliges Industrieareal der Papierindustrie, das von der Cham Group in Etappen zu einem neuen Quartier mit im Endausbau 1000 Wohnungen und 1000 Arbeitsplätzen entwickelt wird.

Abbildung 1: Papieri-Areal Cham mit der Lorze (links) und Etappe1 zur Umnutzung von Industrieproduktion zu Wohnen und Arbeiten (Quelle: Cham Group).

Die Entwicklung und Erweiterung des Areals erfolgt in Etappen bis 2035. Die bestehenden Industriebauten werden saniert und umgenutzt, so dass der alte industrielle Charakter über denkmalgeschützte Gebäude bewahrt werden kann, sowie durch Neubauten ergänzt wird, womit eine Kombination aus 30% Altbauten und 70% Neubauten entsteht. Die erste Etappe ist als grauer Bereich in Abbildung 1  rechts dargestellt und umfasst ca. 270 Wohnungen sowie 9000 m2 Büro- und kommerziellen Nutzungen. Sie wurden Ende 2022 in Betrieb genommen. Pro Jahr kommen rund 100 Wohnungen und 2000 m2 Gewerbefläche hinzu. Im Areal wird so die Modernisierung mit dem Denkmalschutz des bestehenden Industrieareals und einer ökologischen Flächennutzung verbunden, was sich beispielsweise in einer Fisch- und Bibertreppe beim Flusskraftwerk und einer grosszügigen Renaturierung auf dem ganzen Areal äussert und so die Biodiversität gefördert wird. Das Areal ist seit 2022 als 2000-Watt-Areal zertifiziert und wurde 2024 mit dem Watt d’Or in der Kategorie «Erneuerbare Energien» ausgezeichnet. Das Papieri-Areal beschleunigt die Energiewende durch die Umsetzung auf Arealebene statt auf Ebene Einzelgebäude und bildet einen Leuchtturm für zukünftige Quartiers-Projekte.

Abbildung 2: Papieri-Platz (links) und Lorzensteg (rechts) mit Flusswasserkraftwerk und Renaturierung zur Steigerung der Biodiversität (Quelle: Cham Group).


Energiekonzept

Abbildung 3  fasst die wesentlichen Komponenten des Energiekonzepts zusammen. Zur Elek­trizitätserzeugung dient ein Flusskraftwerk in der Lorze mit 230 kW installierter Leistung, das durch 6500 m2 PV-Anlagen mit gesamthaft 1.27 MWp installierter Leistung auf den Dächern der Neubauten ergänzt wird. Damit wird insgesamt rund 2.4 GWh erneuerbarer Strom produziert. Das Areal ist stromseitig mit einem übergeordnetem Energiemanagement ausge­stattet, und ein Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) ermöglicht es, möglichst viel von dem selbstproduzierten Strom auf dem Areal zu verbrauchen. Dies soll einen Autarkiegrad von 75% im Endausbau erreichen.

Abbildung 3: Bausteine des Energiekonzepts des Papieri-Areals Cham mit vollständig erneuer­barer Wärme- und Kälteversorgung (Quelle: AWIAG)

Bei den Verbrauchern sind die gegenwärtigen Energieverbräuche über Smart manager in jeder einzelnen Wohnung abrufbar, was jederzeit den individuellen Komfort gewährleistet und die Kontrolle des eigenen Energieverbrauch erlaubt. Die Energie-Abrechnung erfolgt vom Zähler bis zur Rechnung automatisiert und anhand des gemessenen Verbrauchs.

Die thermische Energieversorgung erfolgt über zentrale Wärmepumpen mit dem natürlichen Kältemittel Ammoniak. Ammoniak zeichnet sich durch gute thermische Eigenschaften und keine Treibhauswirkung (Global Warming Potential (GWP) von 0) aus, womit der Betrieb nicht nur effizient und vollständig erneuerbar, sondern auch umwelt- und klimafreundlich gestaltet werden kann. Zurzeit sind zwei Wärmepumpen mit je 1 Megawatt Leistung installiert, im Endausbau sind vier Megawatt Wärmepumpenleistung geplant. Als Wärmequelle sind Erdsondenfelder installiert, und zusätzlich kann das Flusswasser als Wärmequelle genutzt werden. Derzeit sind ca. 180 Erdsonden in 6 Feldern auf einer Tiefe von 320 m und jeweils 10 m Abstand installiert, im Endausbau sind 192 Erdsonden geplant. Die Erdsondenfelder können auch im Kühlbetrieb genutzt werden.


Wärme- und Kälteerzeugung

Die zentrale Wärme- und Kälteversorgung stellt damit das Herzstück des Energiekonzepts dar und ist so ausgelegt, dass sowohl Wärme als auch Kälte vollständig erneuerbar auf dem Areal erzeugt werden können. Dazu steht der eigenproduzierte erneuerbare Strom zur Verfügung. Weiterhin stehen mit den tiefen Erdsonden und dem Flusswasser Wärmequellen auf hohem Temperaturniveau zur Verfügung, was die Effizienz der Wärmepumpen steigert. Darüber hin­aus ist in der Heizzentrale die Wärme- und Kälteversorgung integriert, so dass die Wärme­pumpen im Simultanbetrieb mit deutlicher besserer Effizienz die Heiz- und Kühlenergie gleichzeitig erzeugen können.

Abbildung 4: Vollständig erneuerbare Wärme- und Kälteversorgung des Papieri-Areals Cham über Erdwärmesondenfelder und Flusswasser, die mit Wärmepumpen zum Heizen und Kühlen genutzt werden (Quelle: AWIAG).

Für die Kühlenergie kann weiterhin erdgekoppeltes Freecooling eingesetzt werden, das durch reines Umwälzen des Kühlmediums nur Pumpenenergie benötigt und damit ebenfalls Effizienzpotenziale eröffnet. Die Wärmepumpen werden dafür auf der Quellenseite durch zwei Speicher à 50 m3, einen Quellen- und einen Kältespeicher, sowie auf der Senkenseite durch einen ebenfalls 50 m3 grossen Wärmespeicher ergänzt, womit der Simultanbetrieb der Wärme­pumpe erhöht werden kann. Gleichzeitig können Lastspitzen geglättet werden und die Erd­wärmesondenfelder hinsichtlich Heiz- und Kühlbetrieb gezielt bewirtschaftet werden. So kann bei aktiven Kühlbetrieb im Sommer die Abwärme zur Regeneration verwendet werden, wobei im Sommer auch das Flusswasser zur Regeneration eingesetzt werden kann.

Eine Direkt­kühlung aus dem Fluss ist jedoch nicht möglich, da ein Wärmeeintrag im Sommer kritisch für die Biologie von Fliessgewässern ist. Teils werden durch die gestiegenen Sommertemperatur schon ohne Wärmeeintrag kritische Bedingungen erreicht, so dass der sommerliche Einsatz des Flusses auf Regeneration, also Wärmeentnahme für das Aufladen der Erdsondenfelder beschränkt ist. Da Regeneration und Freecooling jedoch im Gegensatz zueinanderstehen, ist eine gezielte Bewirtschaftung der einzelnen Erdsondenfelder notwendig, um sowohl für den Sommer- als auch für den Winterbetrieb optimale Bedingungen und damit ein Gesamtoptimum zu erreichen.


Forschungsplattform

Aufgrund der vielfältigen Fragestellungen im Papieri-Areal zur energetischen Gesamtbilanz des Areals, Eigenstromerzeugung und -verbrauch, erneuerbare Wärme- und Kälteerzeugung sowie deren Betriebsoptimierung stellt das Papieri-Areal auch eine Forschungsplattform dar. Im Rahmen des vom Bundesamt für Energie geförderten IEA HPT Annex 61 im Wärmepum­penprogramm HPT der Internationalen Energieagentur IEA wird das Monitoring ausgewertet und begleitende Simulationen durchgeführt. Aus dem Monitoring kann die reale Performance im Betrieb für die unterschiedlichen Betriebsmodi des Heiz-, Warmwasser- und Kühlbetriebs ausgewertet werden. Insgesamt werden 15 Betriebsmodi der Wärme- und Kälteerzeugung unterschieden. Die Monitoring-Daten dienen weiterhin zur Validierung von Simulations­modellen. Ziel der Simulationen ist die Abbildung des Systems, um anschliessend modell­basiert Varianten- und Optimierungsrechnung durchführen zu können. Dabei wird ein Schwer­punkt auf die Heizzentrale inklusive der Wärmequellen gelegt, was der Systemgrenze des Wärmeerzeugernutzungsgrades entspricht.

Für die Gesamtbilanz werden auch die Verteilung über das Wärme- und Kältenetz einbezogen, was dem Systemnutzungsgrad entspricht und damit Aussagen im Hinblick auf eine Gesamtenergiebilanz ermöglicht. Optimierungspoten­ziale werden im Simultanbetrieb und Steigerung der Freecooling-Anteile für den Kühlbetrieb und dem Quellenmanagement der Erdreich- und Flusswasserquelle gesehen, auch im Hinblick auf die Mehrquellennutzung für die Erweiterung des Areals. Derzeit werden die Systeme modelliert. Die Messdaten stehen ab Sommer 2024 zur Auswertung Verfügung, so dass energetische Kennzahlen des realen Betriebs abgeleitet werden können.


Website Forschungsprojekt IEA HPT Annex 61: https://heatpumpingtechnologies.org/annex61

Website Papieri-Areal: https://www.papieri-cham.ch