Rund 40 interessierte Personen fanden sich in der Bibliothek der OST zur Trommel-Lesung ein. Stefan Ribler, Dozent des Departements Soziale Arbeit, begrüsste die Gäste. Er zeigte sich hocherfreut, dass trotz des heissen Wetters, des St.Galler Kinderfests und des Schweizer EM-Matchs am späteren Abend, doch so viele Menschen der Einladung zum Kulturzyklus Kontrast gefolgt sind. Zum Einstieg gab es ein Schlagzeugsolo von Tony Renold zu hören. Danach stellte sich Thomas Gröbly kurz vor.
Seit acht Jahren lebt Gröbly mit der Diagnose der Nervenkrankheit ALS. Die beginnende Zungenlähmung ist gut zu hören, da sie ihm das Sprechen erschwert. «Wenn man so krank ist wie ich, dann hat man zwei Impulse: Rückzug oder warum nicht eine Lesung halten?», scherzte er. Er habe sich für den zweiten Impuls entschieden. Brigitt Walser, Schauspielerin und Trainerin für Auftrittskompetenz sowie eine langjährige Freundin von Gröbly, unterstützte ihn beim Vorlesen der Texte. Tony Renold ist ein bekannter Jazzschlagzeuger und ebenfalls ein langjähriger Freund von Thomas Gröbly. Er verlieh den Gedichten und Texten mit seinen Klängen und Rhythmen Flügel.
Auseinandersetzung mit Leben und Tod
Thomas Gröbly nimmt in seinem Buch «einen Augenblick staunen», das seinem Enkel gewidmet ist, seine Krankheit und die Zukunft seines Enkels als Ausgangspunkt für Fragen zu Leben und Tod. In seiner Auseinandersetzung mit dem Ende seines Lebens und den bedrohten sozialen, ökologischen sowie ökonomischen Lebensbedingungen für seinen Enkel entwickelt er Ideen, wie wir die eigenen und die Grenzen des Planeten respektieren können. Die Schlagzeug-Begleitung während der Lesung erzeugte ein spannendes Wechselspiel aus Klängen und Worten. Tony Renold versteht sein Handwerk. So machte er beispielsweise Naturelemente mit seinen Trommeln und weiteren lautgebenden Gegenständen «hörbar» und untermalte Spannungen dramaturgisch.
Gegen Ende der Lesung präsentierte Thomas Gröbly sein neuestes Werk, den Gedichtband «Durcheinander», und las gemeinsam mit Brigitt Walser eine kleine Auswahl vor. «Mir gefällt die Doppeldeutigkeit des Titels», sagte er. «Durcheinander bedeutet in erster Linie Chaos. Doch wir leben ja auch durch ein ander». Die Texte aus dem Gedichtband schwingen zwischen todernst und komisch, politisch und absurd. Sie entstanden in Alltagsituationen, aus Wortspielen oder philosophischen Gedanken. Einigen fehlt jeglicher Sinn, gerade damit entlocken sie dem Schweren etwas Leichtigkeit. Es sind Hymnen an die Liebe, Ringen mit dem Leiden oder Worte gegen Gewalt.
«Ich habe nichts verpasst im Leben»
Zum Abschluss der Veranstaltung gab Stefan Ribler das Wort ans Publikum. Ein Herr, ein Stammgast des Kulturzyklus Kontrast, bedankte sich bei Thomas Gröbly und sagte, er habe noch nie eine derart positive Energie während einer Lesung gespürt, was ihm sehr gut gefallen habe. Auch Stefan Ribler hatte noch offene Fragen an Thomas Gröbly. Unter anderem, ob er teilweise exkludiert werde, beispielsweise von Bekannten, die mit der Langsamkeit, die auch mit seinen Sprachschwierigkeiten im Gespräch einhergehen, nicht umgehen können. Gröbly verneinte. «Einige Freunde finden es sogar ganz gut, wenn alles mal etwas langsamer geht», schob er nach.
Schliesslich stellte Stefan Ribler eine Frage, die sich vielleicht manch eine:r im Publikum auch gestellt hat, sich aber nicht traute zu fragen: «Gibt es etwas, was du denkst, verpasst zu haben, eine Art Sehnsucht?». Thomas Gröbly hielt einen Moment inne, um nachzudenken. «Nein», antwortete er dann sehr klar. Er habe ein sehr schönes Leben gehabt und habe nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. «Ich bin immer gerne in die Berge gegangen. Aber ich würde deswegen nun nicht zehn Leute damit beauftragen, mich da nochmals hochzutragen», ergänzte er noch schmunzelnd.
Was ist der Kulturzyklus Kontrast?
Am Kulturzyklus Kontrast eröffnen Künstlerinnen und Künstler mit einer Beeinträchtigung aussergewöhnliche Zugänge zu unterschiedlichen Kultursparten. Dabei dreht sich alles um die Frage des vermeintlich «Normalen». Die Antwort darauf geben die Künstlerinnen und Künstler gleich selbst mit ihren einzigartigen Arbeiten. Der Kulturzyklus Kontrast stellt das künstlerische Werk ins Zentrum und möchte zudem einen Beitrag zur gelebten Inklusion leisten.