«Offene Jugendarbeit ist für alle da»

09.09.2024

Mit einem Fachgespräch im Innenhof des Kulturmuseums lud das Institut für Soziale Arbeit und Räume (IFSAR) am 30. August zur Buchvernissage «Soziokulturelle Animation». Der Veranstaltungsort war bewusst gewählt. Draussen im Park feierte die Grabenhalle, der erste nicht-kommerzielle Veranstaltungsort in St.Gallen, ihr 40-jähriges Jubiläum. Wie eng die beiden Geschichten zusammenhängen, zeigte die Podiumsdiskussion.

Im Innenhof des Kulturmuseums in St. Gallen diskutieren Expertinnen und Experten aktuelle Fragen der Soziokulturellen Animation (Fotos: Mario Baronchelli)
Andrea Thoma vom IFSAR und Christian Reutlinger, ehemaliger Leiter des IFSAR, lesen aus ihrer Publikation «Soziokulturelle Animation» (Fotos: Mario Baronchelli)
Fotos: Mario Baronchelli
Im Innenhof des Kulturmuseums in St. Gallen diskutieren Expertinnen und Experten aktuelle Fragen der Soziokulturellen Animation (Fotos: Mario Baronchelli)
Dominique Schenker, FHNW, Moderatorin Daniela Epple vom IFSAR, Lara Waibel, Offene Kinder- und Jugendarbeit Stadt St.Gallen, Ivica Petrusic, HSLU, und Heinz Wettstein, der Protagonist des Anlasses (Fotos: Mario Baronchelli)
Im Innenhof des Kulturmuseums in St. Gallen diskutieren Expertinnen und Experten aktuelle Fragen der Soziokulturellen Animation (Fotos: Mario Baronchelli)

Rund 20 Personen finden sich an diesem lauen Nachmittag im Innenhof des Kulturmuseums zum Fachgespräch ein. Es herrscht eine familiäre Atmosphäre. Publikum und Fachleute kennen einander. Vor den Arkaden sind die Teilnehmenden des Podiums platziert. Mit dabei ist Heinz Wettstein, der Protagonist des Anlasses. Er hat die Entwicklung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und die Ausbildung der Soziokulturellen Animation in der Deutschschweiz stark mitgeprägt. Seine berufliche Geschichte bildet die Grundlage des Buches. Auf dem Podium sind Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen vertreten, die zentrale Fragen zur Soziokulturellen Animation aus unterschiedlichen Perspektiven diskutieren.

Christian Reutlinger, Herausgeber der Publikation und ehemaliger Leiter des Instituts für Soziale Arbeit und Räume (IFSAR) und Andrea Thoma, wissenschaftliche Mitarbeiterin und ebenfalls Herausgeberin, orchestrieren das Podiumsgespräch, indem sie einzelne Passagen aus dem Buch vorlesen und damit zentrale Fragen aufwerfen, die Daniela Epple vom IFSAR in ihrer Moderation aufgreift: Wie wird die Offene Jugendarbeit in der Deutsch- und Welschschweiz verstanden? Welche Zielgruppen werden angesprochen? Was zeichnet die Offene Jugendarbeit aus?

Der Ansatz der Soziokulturellen Animation wurde zuerst in der französischsprachigen Schweiz rezipiert und im Zuge der 68er-Bewegung auch in die Praxis der Deutschschweiz getragen. Diese orientierte sich bis dahin schwerpunktmässig an anderen Konzepten. Aus den Voten der Expertinnen und Experten wird deutlich, dass die Differenzen zwischen den Landesteilen in der Praxis heute weniger gross sind als auf konzeptioneller Ebene. «Dazu hat auch die Vernetzung und der Austausch in den Fachgruppen beigetragen», betont Rahel Müller, Präsidentin des Dachverbandes Offene Kinder- und Jugendarbeit. 

In der Anfangszeit sei die Offene Jugendarbeit ein Mittelstands- und kein Unterschichtsprojekt gewesen. Die Zielgruppen waren Jugendliche aus der Kanti, keine «Minderprivilegierten». «Heute ist die Offene Jugendarbeit für alle da», erklärt Lara Waibel, langjährige Mitarbeiterin der Offenen Kinder- und Jugendarbeit der Stadt St.Gallen. Wie sich die Zielgruppen zusammensetzten, sei abhängig vom Sozialraum, der städtisch oder ländlich geprägt sein kann. «Um allen gerecht zu werden, braucht es spezifische Ansätze und genügend Ressourcen. Ein wichtiger Meilenstein war das Gesetz zur Kinder- und Jugendförderung» sagt Ivica Petrusic, Dozent an der HSLU. Und Manuel Fuchs von der FHNW ergänzt: «Kinder aus weniger privilegierten Familien haben andere Bedürfnisse als Kinder aus einem gut situieren Umfeld. Bei den einen geht es um Bildung und finanzielle Mittel, bei den anderen eher um Suchtthemen und die Abgrenzung vom Elternhaus».

In der Offenen Jugendarbeit gehe es darum, Beziehungen aufzubauen und die Jugendlichen zu ermutigen, für ihre Bedürfnisse einzutreten. «Sie will Gruppen befähigen können, sich selbst weiterzuentwickeln», sagt Dominique Schenker von der FHNW. Ziel sei es, soziale und kulturelle Verhaltensweisen zu entwickeln, um Demokratie und Partizipation einzuüben und Erfolgserlebnisse miteinander zu teilen, so Wettstein im Buch. «Wir sind Seismographinnen und nehmen die Themen von Jugendlichen wahr», erklärt Lara Waibel ihr berufliches Selbstverständnis. 

«Die Stadt St.Gallen hat eine lange Tradition in der Offenen Jugendarbeit und deckt ein breites Spektrum ab. Talhof und Jugendkulturraum flon werden von selbstorganisierten Betriebsgruppen geführt, die ein vielfältiges Programm für Jugendliche von 13 bis 26 Jahren anbieten», so die ausgebildete Gemeindeanimatorin Lara Weibel. Auch die Grabenhalle habe in St.Gallen ihren Platz in der Jugend-Kunst- und Kulturszene. 

Die Publikation von Christian Reutlinger und Andrea Thoma hat den Untertitel: «33 Fragmente zur Entwicklung der Offenen Jugendarbeit in der Deutschschweiz». Die offene Form will dazu anregen, sich weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das ist mit der Podiumsdiskussion zur Buchvernissage gelungen. 

Das Buch ist erhältlich unter dem Titel:
Soziokulturelle Animation. 33 Fragmente zur Entwicklung der Offenen Jugendarbeit in der Deutschschweiz, erzählt von Heinz Wettstein. Hg. von Christian Reutlinger und Andrea Thoma. Berlin: Frank & Timme 2024. ISBN 978-3-7329-0932-2 (print) oder 978-3-7329-917-7 (e-book)