«Armutsbetroffene schliessen die Schule häufig nicht oder nur mit einem sehr niedrigen Bildungsniveau ab. Menschen mit kleinem Bildungsrucksack sind wiederum häufiger von Armut und Erwerbslosigkeit betroffen», erklärt Prof. Gabi Hahn die schwierige Ausgangslage, mit der armutsbetroffene Menschen konfrontiert sind. Die Dozentin für Soziale Arbeit an der OST – Ostschweizer Fachhochschule betont an der Veranstaltung «Wissen am Mittag: Diversity» des IGD Institut für Gender und Diversity, dass Armut von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Armut wird vererbt
«In der Schweiz hängt der Bildungserfolg vom Bildungsniveau der Eltern ab», bestätigt Gregor Scherzinger, Mitarbeiter der Caritas St.Gallen-Appenzell. «Das Risiko, dass Menschen mit 50 Jahren in Armut leben, ist mehr als doppelt so hoch, wenn sie in einem armutsbetroffenen Haushalt aufgewachsen sind.» Entgegen der weit verbreiteten Annahme, in der Schweiz hätten alle unabhängig vom Elternhaus die gleichen Bildungschancen, zeigen Untersuchungen der Caritas, dass die Bildungsmobilität hierzulande gering ist.
Kinder, die in Armut aufwachsen, haben laut Prof. Gabi Hahn und Gregor Scherzinger eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten. Ihre soziale Teilhabe ist geringer, ihre psychische und physische Entwicklung kann beeinträchtigt sein und sie leiden häufig unter mangelndem Selbstvertrauen, Scham- und Schuldgefühlen. Dies hat Auswirkungen auf ihre Bildungs- und Arbeitsmarktchancen, weshalb eine frühe Förderung in der Schule für armutsbetroffene Kinder besonders wichtig ist.
Wege aus der Bildungsarmut
«Für armutsbetroffene Menschen steht die Existenzsicherung im Vordergrund. Arbeiten hat für sie Priorität. Aus- und Weiterbildungen zu besuchen, ist für sie deshalb mit grossen Hürden verbunden», erklärt Prof. Gabi Hahn. Um ihre Arbeitsmarktchancen zu verbessern, wären Aus- und Weiterbildungen aber ein wichtiges Mittel. «Die Menschen befinden sich in einer Zwickmühle: Sie möchten sich weiterbilden, haben aber nicht die finanziellen Möglichkeiten und oft auch nicht die Informationen dazu», betont Prof. Gabi Hahn. Für diese Gruppe braucht es laut der Professorin mehr finanzielle Unterstützung und passende Informationsangebote. Zudem müsse auch bei den Sozialdiensten ein Umdenken stattfinden: «Diese sind auf eine rasche Arbeitsintegration fokussiert und die Möglichkeit, eine passende Aus- und Weiterbildung zu finden, wird nicht oder zu wenig berücksichtigt.».
Zu den besonders häufig betroffenen Gruppen von Armut zählen alleinerziehende Mütter und ihre Kinder. Arbeitgebende können laut Gregor Scherzinger dazu beitragen, ihnen den Zugang zu Aus- und Weiterbildung zu erleichtern: «Arbeitgebende stehen in der gesellschaftlichen Verantwortung, Arbeitsmodelle zu schaffen, in denen auch niedrige Lohngruppen mit Care-Arbeit kombiniert werden können». Prof. Gabi Hahn nennt als Beispiel Teilzeitlehren für alleinerziehende Mütter.
Drei Projekte für bessere Bildungschancen
Die Caritas hat verschiedene Angebote, mit denen sie armutsbetroffene Menschen dabei unterstützt, ihre Bildungschancen zu verbessern. Das Patenschaftsprojekt «mit mir» vermittelt Patinnen und Paten für Kinder aus armutsbetroffenen Familien. «Bei diesem Projekt geht es darum, den Kindern Erfahrungen in einem anderen sozialen Umfeld zu ermöglichen. Das kann dazu beitragen, neue Perspektiven und Türen für ihre berufliche Zukunft zu öffnen», zeigt Gregor Scherzinger auf.
Ein weiteres Projekt sind die «Femmes-Tische» – ein niederschwelliges Bildungsangebot der Caritas für Frauen mit Migrationshintergrund. Sie können sich dort zum Beispiel über Themen wie Einschulung und Förderung ihrer Kinder oder der Berufswahl austauschen. Mit der «KulturLegi» können armutsbetroffene Menschen vergünstigte Kultur- und Bildungsangebote nutzen. Zudem engagiert sich die Caritas in der Sozialpolitik und setzt sich für die Verbesserung der Situation von Familien mit wenig Geld ein.